Verordungsgewohnheiten von Psychopharmaka an deutschen psychiatrischen Krankenhäusern


Ergebnisse einer Befragung der Bundesdirektorenkonferenz Teil I: Antipsychotika

Wilfried Günther, Thomas Noegel, Wolfgang Trapp, Bamberg, Ulrich Frommberger, Offenburg, Gerd Laux, Wasserburg/München, Thomas Messer, Augsburg, Hans-Jürgen Möller, Norbert Müller, München, Max Schmauß, Augsburg, Heinrich Schulze-Mönking, Telgte, Reinhard Steinberg, Klingenmünster, und Karl-Ludwig Täschner, Stuttgart

Zu jedem modernen Antipsychotikum existiert mindestens eine Studie, die dieses als das „beste“ Medikament seiner Klasse auslobt. Dies macht es für den Praktiker schwer, das richtige Antipsychotikum auszuwählen. Die vorliegende Studie berichtet über die Ergebnisse einer Ärztebefragung (n=283) zu Verordnungsgewohnheiten in deutschen psychiatrischen Versorgungskliniken und vergleicht diese mit aktuellen Behandlungsempfehlungen und Therapieleitlinien. Insbesondere differenzielle Indikationen und Nebenwirkungsprofile standen im Zentrum des Interesses. Unsere Studie konnte nachweisen, dass an deutschen Versorgungskliniken relativ eindeutige Vorstellungen zur Differenzialindikation von Antipsychotika bestehen, die teilweise jedoch von publizierten Leitlinien abweichen. Eine weitere Annäherung an bestehende Therapieempfehlungen wäre deshalb im Sinne der Behandlungsqualität und der Complianceverbesserung wünschenswert und sinnvoll.
Schlüsselwörter: Antipsychotika, Neuroleptika, Verordnungsgewohnheiten, Atypika, Typika, Compliance, Leitlinien
Psychopharmakotherapie 2008;15:202–8.

In den letzten 15 Jahren ist in Deutschland ein stetiger Anstieg der Arzneimittelausgaben bei gleichzeitig sinkender Anzahl an Verordnungen zu verzeichnen. Besonders die modernen, atypischen Antipsychotika werden immer bedeutsamer. Mit Ausnahme von Clozapin erreichten alle atypischen Antipsychotika ein deutliches Umsatzplus [12]. Die folgende Analyse beschreibt Ergebnisse zu Verordnungsgewohnheiten von Antipsychotika in deutschen psychiatrischen Versorgungskliniken und vergleicht sie mit aktuellen Behandlungsempfehlungen und Therapieleitlinien. Insbesondere die differenziellen Indikationen und Nebenwirkungsprofile der Antipsychotika stehen im Zentrum des Interesses. Durch die Vielfalt der zu Verfügung stehenden Antipsychotika wird es immer schwieriger, das „richtige“ Medikament für den einzelnen Patienten zu finden. Es existiert zu einem jeden modernen Antipsychotikum mindestens eine Studie, die es als das „beste“ Medikament seiner Klasse ausruft. Dies macht es dem Praktiker schwer, das richtige Antipsychotikum für den Patienten auszuwählen. Industrie-unabhängige Studien zur Wirksamkeit und Nebenwirkungen von Antipsychotika sind rar [8].

Die atypischen Antipsychotika sind Substanzen, bei denen die extrapyramidal-motorischen Beeinträchtigungen im Gegensatz zu den typischen Antipsychotika nur gering ausgeprägt sind oder fehlen. Dabei zeigen sie eine gute Wirksamkeit auf Negativ- und Positivsymptomatik [9].

Alle atypischen Neuroleptika, mit Ausnahme von Amisulprid, zeigen schon in subklinischen Dosen eine hohe 5-HT2-Rezeptorbesetzung. Hiermit könnte die niedrigere Rate von extrapyramidal-motorischen Störungen (EPS) im Vergleich zu konventionellen Neuroleptika und die bessere Wirksamkeit auf die schizophrene Negativsymptomatik erklärt werden. Hohe D2-Rezeptorbesetzungen stellen weiterhin keine hinreichende Voraussetzung für die antipsychotische Wirksamkeit dar [12]. Die Substanzklasse determiniert die jeweilige Wirkung über eine reversible Blockade von D2-Rezeptoren mit/ohne einem kombinierten 5-HT2-/D2-Antagonismus, einer reversiblen Blockade von D2-Rezeptoren oder einer selektiven D2- und D3-Blockade [6, 11].

Ziel dieser Studie war es, detaillierte Informationen darüber zu sammeln, nach welchen impliziten Regeln Neuroleptika in der klinischen Praxis verordnet werden.

Patienten und Methoden

Die vorliegende Untersuchung wurde angeregt durch eine Vorläuferstudie in psychiatrischen Versorgungskliniken zu Verordnungskonzepten hinsichtlich typischer Neuroleptika versus atypischer Antipsychotika [7]. Die nunmehr vorgelegten Daten entstammen einer erneuten Befragung von 283 Ärzten in deutschen psychiatrischen Kliniken aus dem Jahr 2004, die wieder auf Veranlassung der Arbeitsgruppe biologische Psychiatrie der Bundesdirektorenkonferenz durchgeführt wurde und die nunmehr Verordnungskonzepte zu allen wesentlichen Psychopharmakagruppen einschloss.

Der Fragebogen wurde elektronisch an alle an der Bundesdirektorenkonferenz teilnehmenden Chefärzte versandt, mit der Bitte, diesen an die ärztlichen Kollegen der jeweiligen Einrichtung weiterzuleiten. Es bestand die Möglichkeit, entweder eine elektronische Version auszufüllen oder den Bogen auszudrucken und handschriftlich zu bearbeiten.

Im Verlaufe des Jahres 2004 wurden 286 Bögen zurückgesandt, darunter waren 45 elektronisch ausgefüllte Bögen; drei Bögen konnten wegen fehlender Daten nicht einbezogen werden.

Im Fragebogen sollten die Krankenhausärzte Stellung nehmen zur eigenen Verordnungspraxis hinsichtlich Antipsychotika, Antidepressiva, Antidementiva/Nootropika, Tranquilizern, Hypnotika und Antimanika/Mood-Stabilizern.

Dokumentiert wurden außerdem die persönliche klinische Erfahrung der psychiatrischen Tätigkeit der Befragten, das Bundesland des Arbeitsplatzes und die Anzahl der Betten des jeweiligen Hauses.

Die Auswertung erfolgte in getrennten Zentren nach gemeinsamen statistischen Vorgaben/Absprachen. Die Ergebnisse werden in fünf Publikationen getrennt vorgestellt, wobei der Bereich Material und Methoden/Allgemeines (s.o.) und der gleichzeitig ins Internet gestellte Gesamtfragebogen (www.sozialstiftung-bamberg.de → Kliniken → Psychiatrie → aktuelles → Fragebogen BDK) nur in der initialen Publikation zu Antipsychotika berichtet wird. (Weitere Details in Noegel, Dissertation Med. Fak. LMU München, in Vorbereitung.)

Für die Beantwortung des Fragebogenteils Antipsychotika standen sieben typische Antipsychotika und acht atypische Antipsychotika zur Auswahl (Tab. 1).

Tab. 1. Zur Auswahl stehende typische und atypische Antipsychotika (Wortlaut der Liste aus dem Fragebogen)

Typische Neuroleptika/Antipsychotika

Atypische Antipsychotika

Kürzel

Bezeichnung

Kürzel

Bezeichnung

HAL

Haloperidol (z.B. Haldol Janssen)

AMI

Amisulprid (Solian)

BEN

Benperidol (z.B. Glianimon)

CLO

Clozapin (z.B. Leponex)

PER

Perazin (z.B. Taxilan)

OLA

Olanzapin (Zyprexa)

FLU

Flupenthixol (z.B. Fluanxol)

QUE

Quetiapin (Seroquel)

FLS

Fluspirilen (z.B. Imap)

RIS

Risperidon (Risperdal)

PIM

Pimozid (z.B. Orap)

SER

Sertindol (z.B. Serdolect)*

ZUC

Zuclopenthixol (z.B. Ciatyl)

ZIP

Ziprasidon (Zeldox)

ARI

Aripiprazol (Abilify)

Andere

Andere

*Sertindol war im Zeitraum der Erhebung wegen Ruhens der Zulassung nicht regulär verfügbar

Im ersten Frageblock wurden nach der Therapiepräferenz bei schizophrener Störung mit Positivsymptomatik sowie der bevorzugten Reihenfolge bei dieser Therapie mit Typika respektive Atypika gefragt. Der zweite Frageblock befasste sich analog zum ersten mit der Negativsymptomatik bei schizophrener Störung. Im dritten Abschnitt wurde die Therapiepräferenz bei Therapieresistenz abgefragt; hier konnte ebenfalls eine bevorzugte Reihenfolge festgelegt werden. Im vierten Abschnitt wurde nach der bevorzugten Therapie (mit Antipsychotika) der akuten Manie gefragt (diese Ergebnisse werden an anderer Stelle beschrieben). Im fünften Frageblock wurden die bevorzugten typischen/atypischen Antipsychotika in der Behandlung von älteren Patienten, jüngeren Patienten, Frauen, Männern, Erstmanifestationen und Mehrfachmanifestationen behandelt. Im sechsten Frageblock wurde die minimale, maximale und durchschnittliche Dosierung der oben genannten Antipsychotika abgefragt. Des Weiteren wurde nach den Auswahlkriterien des Antipsychotikums und dessen Dosierung, nach der Therapiepräferenz bei mangelnder klinischer Wirksamkeit, nach der Wartezeit bis zum Eintreffen der klinischen Effekte, der Wichtigkeit der Nebenwirkungen, nach den zeitlichen Abständen von Routineuntersuchungen bei Akut- und Langzeitanwendung sowie nach Häufigkeit der Kombination von mehreren Antipsychotika gefragt.

Die Zahlenangaben im Ergebnisteil bezeichnen, sofern nichts anderes vermerkt ist, relative Häufigkeiten bezogen auf die Gesamtstichprobe der 283 auswertbaren Fragebogen.

Um zu ermitteln, ob das Ausmaß an klinischer Berufserfahrung einen Einfluss auf die Verordnungspraxis hat, wurden ferner zwei Gruppen gebildet: Den Beginn des Gesamtfragebogen markierten einige Fragen zu persönlichen Angaben. Dort wurde unter anderem auch nach der Berufserfahrung (unter 1 Jahr, 1 bis 3 Jahre, 4 bis 6 Jahre, 7 bis 9 Jahre und 10 oder mehr Jahre) gefragt. Ausgehend von diesen Angaben wurden für die vorliegende Stichprobe zwei Gruppen gebildet: Alle Befragten mit einer Berufserfahrung von unter vier Jahren in der Psychiatrie wurden in einer Gruppe mit „geringerer Berufserfahrung“ zusammengefasst, die restlichen Befragten (Berufserfahrung von mindestens vier Jahren) in einer Gruppe mit „höherer Berufserfahrung“ gebündelt. Insgesamt erfüllten 74 Befragte das neu gebildete Kriterium „geringere Berufserfahrung“ und 164 Befragte wiesen „höhere Berufserfahrung“ auf, 5 Befragte machten keine Angaben zur Berufserfahrung.

Um Unterschiede in der Häufigkeit der Bevorzugung einzelner Präparate statistisch abzusichern wurden χ2-Tests berechnet. U-Tests bzw. t-Tests dienten zur Überprüfung von Unterschieden in der Berücksichtigung von Einflussfaktoren und Nebenwirkungen bei der Anwendung von Neuroleptika und in der generellen Bevorzugung atypischer bzw. klassischer Neuroleptika.

Alle im Folgenden berichteten Signifikanzniveaus legen eine zweiseitige Fragestellung zugrunde.

Ergebnisse

Der Prozentsatz der teilnehmenden Kliniken, die zudem überwiegend aus dem süddeutschen Raum stammen (knapp 70% entweder aus Baden-Württemberg oder Bayern), war, auch wegen des Umfangs des Fragebogens mit einer minimalen Bearbeitungszeit von einer Stunde, relativ gering. Obwohl die Rücklaufquote in den 19 hauptsächlich teilnehmenden Kliniken mit geschätzten 80% recht hoch ist, sind Rückschlüsse auf Verordnungskonzepte der Ärzte in allen deutschen Versorgungskliniken unsicher; es handelt sich somit um ein Pilotprojekt. Da solche Versorgungsdaten aber national und international gar nicht vorliegen, erscheint eine Berichterstattung trotz methodischer Einschränkungen gerechtfertigt und geboten.

Von den befragten Ärzten waren 47,2% höchstens sechs Jahre und 52,8% mehr als diese Zeit berufstätig. 46,1% waren weiblichen, 53,9% männlichen Geschlechts. Der jüngste Arzt war 25, der älteste 63 Jahre alt. 54,8% waren Assistenzärzte, 45,2% Fachärzte/Oberärzte oder leitende Ärzte.

Bevorzugte Präparate bei Positiv-/Negativsymptomatik und Therapieresistenz

Abbildung 1 und Abbildung 2 zeigen die Häufigkeit, mit der die einzelnen klassischen und atypischen Neuroleptika als Präparate erster Wahl bei Positivsymptomatik, Negativsymptomatik und Therapieresistenz verordnet werden.

Abb. 1. Bevorzugte Typika bei Positiv-, Negativsymptomatik und Therapieresistenz

Abb. 2. Bevorzugte Atypika bei Positiv-, Negativsymptomatik und Therapieresistenz

Es ist deutlich zu erkennen, dass bei den typischen Antipsychotika fast 90% der Befragten entweder Haloperidol oder Flupentixol bevorzugen: beide Präparate machen fast 90% der Gesamtnennungen aus, alle anderen Substanzen spielen eine eher untergeordnete Rolle.

Dabei wird auf Flupentixol bei Negativsymptomatik deutlich häufiger, auf Haloperidol jedoch weniger häufig zurückgegriffen als bei Positivsymptomatik (χ2=15,99, df=1, p<0,001). Benperidol, das bei Positiv- und Negativsymptomatik eine eher untergeordnete Rolle spielt, wird hingegen häufiger bei Therapieresistenz verwendet (χ2=25,70, df=2, p<0,001).

Betrachtet man die eben geschilderten Unterschiede getrennt für die beiden Gruppen „erfahrene“ vs. „nicht erfahrene“ Kollegen, so findet sich die häufigere Wahl von Flupentixol bei Negativsymptomatik nur bei den erfahreneren Kollegen: 49,0% bevorzugen Flupentixol gegenüber Haloperidol (35,3%), während bei den unerfahreneren Kollegen sich das Präferenzmuster für Positivsymptomatik in etwa wiederholt (73,1% Haloperidol, 23,1% Flupentixol). Dieser Unterschied ist statistisch signifikant (χ2=7,43, df=1, p=0,006). Hinsichtlich des häufigeren Einsatzes von Benperidol bei Therapieresistenz findet sich kein Unterschied bezogen auf das Ausmaß an Berufserfahrung.

Bei den atypischen Antipsychotika werden am häufigsten Olanzapin und Risperidon eingesetzt; während Clozapin bei Therapieresistenz eine überragende Rolle spielt (χ2=249,84, df=2, p<0,001). Amisulprid spielt nur bei Negativsymptomatik eine Rolle, wird hier aber in etwa ebenso oft eingesetzt wie Olanzapin und Risperidon (χ2=65,01, df=2, p<0,001). Unterschiede zwischen erfahrenen und weniger erfahrenen Kollegen ergeben sich hier nicht.

Typische vs. atypische Antipsychotika

Abbildung 3 zeigt die Verteilung der Präferenzen für den Einsatz von klassischen oder neueren Antipsychotika. Die Befragten konnten dabei einen Wert auf einer Skala von 1 bis 100 angeben, wobei ein niedriger Wert für die ausschließliche Verordnung von klassischen Neuroleptika, ein hoher Wert für die alleinige Therapie mit Atypika steht; ein mittlerer Wert bedeutet, dass beide Substanzklassen ähnlich häufig eingesetzt werden.

Abb. 3. Therapie mit Typika und Atypika bei Positiv-, Negativsymptomatik und Therapieresistenz

Insgesamt lässt sich eine tendenzielle Bevorzugung neuerer Präparate erkennen, dies spiegelt sich auch in den Mittelwerten wider (66,92 für Positiv-, 81,50 für Negativsymptomatik und 60,67 für Therapieresistenz).

Der Einfluss der Berufserfahrung wurde mit Hilfe einer zweifaktoriellen Varianzanalyse (Symptomatik als Messwiederholungsfaktor, Berufserfahrung als Gruppenfaktor) näher analysiert. Dabei zeigten sich signifikante Effekte für den Messwiederholungsfaktor (F=21,32, p<0,001, häufigster Einsatz von Atypika bei Negativsymptomatik) und den Gruppenfaktor (F=4,39, p=0,037; Erfahrene verwenden häufiger Atypika) sowie ein tendenziell signifikanter Interaktionseffekt (F=3,11, p=0,079; Einfluss der Berufserfahrung auf die Wahl bei Negativsymptomatik und Therapieresistenz, kein Einfluss auf Positivsymptomatik) (Abb. 4).

Abb. 4. Bevorzugung von Typika vs. Atypika bei Positiv-, Negativsymptomatik und Therapieresistenz in Abhängigkeit von der Berufserfahrung (Präferenz s. Abb. 3)

Ein substanzieller Anteil der Befragten gibt an, mehrere Antipsychotika zu kombinieren: 23,6% kombinieren Atypikum und Typikum, 19,0% mehrere Atypika und 29,5% mehrere Typika. Hierbei scheint es keinen Einfluss der Berufserfahrung zu geben.

Einfluss von Patientenmerkmalen auf die Verordnung von Antipsychotika

Abbildungen 5 und 6 zeigen den Einfluss von Geschlecht, Alter und Chronizität der schizophrenen Erkrankung auf die Wahl des Antipsychotikums, jeweils getrennt nach Typika und Atypika:

Abb. 5. Bevorzugte typische Antipsychotika in Abhängigkeit von Geschlecht, Alter und Erst- bzw. Mehrfachmanifestation

Abb. 6. Bevorzugte atypische Antipsychotika in Abhängigkeit von Geschlecht, Alter und Erst- bzw. Mehrfachmanifestation

Bei den Typika fällt zunächst auf, dass Haloperidol bei älteren Patienten (75,1%) häufiger als bei jüngeren Patienten (56,8%) eingesetzt wird, während Flupentixol eher bei jüngeren (28,2%) als bei älteren Patienten (8,7%) zum Einsatz kommt (χ2=30,89, df=1, p<0,001). Bei den Atypika wird Olanzapin häufiger bei jüngeren (40,8%) als bei älteren (9,2%) sowie bevorzugt bei Männern (40,2% vs. 24,5% bei Frauen) und bei Erstmanifestation (45,8% vs. 28,9% bei Mehrfachmanifestation) eingesetzt (χ2(1)=69,72, 13,73 und 15,14, jeweils p<0,001).

Risperidon (51,1% vs. 30,8% bei jüngeren) und Quetiapin (28,2% vs. 11,5% bei jüngeren) werden dagegen häufiger bei älteren Patienten eingesetzt. (χ2(1)=22,40, 22,83, jeweils p<0,001).

Quetiapin wird überdies häufiger bei Frauen verordnet (22,4% vs. 10,2% bei Männern) und Clozapin häufiger bei Mehrfachmanifestation (20,7% vs. 2,8% bei Erstmanifestation) (χ2(1)=8,59, p<0,01, 38,42, p<0,001).

Weder bei den Typika noch bei den Atypika spielt die Berufserfahrung eine zusätzliche Rolle.

Anwendungsaspekte

Abbildung 7 und Abbildung 8 zeigen die für Auswahl und Dosisfindung als wichtig erachteten Größen.

Abb. 7. Bei der Auswahl des Antipsychotikums berücksichtigte Größen

Abb. 8. Die Dosisentscheidung beeinflussende Größen

Wie aus Abbildung 7 ersichtlich, orientieren sich die Befragten stärker an Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil und vergleichsweise schwächer an Patientenwünschen und Kosten. Erfahrenere Kollegen schätzen die beiden letztgenannten Größen allerdings im Vergleich zu ihren unerfahrenen Kollegen als wichtiger ein (Daten nicht gezeigt; Mann-Whitney-U-Test, z=2,05 bzw. 2,72, p jeweils <0,05).

Bei den Einflussgrößen für die Dosisentscheidung fällt auf, dass der Blutspiegel vergleichsweise weniger stark beachtet wird. Nebenwirkungen werden von erfahrenen Kollegen noch stärker beachtet als von unerfahrenen Kollegen (Daten nicht gezeigt; Mann-Whitney-U-Test: z=2,09, p<0,05).

Die meisten Befragten (81,2%) warten zwei bis vier Wochen auf klinische Effekte der antipsychotischen Medikation, 14,7% warten acht Wochen und nur 4,1% zwölf Wochen oder länger, hier findet sich kein Unterschied zwischen erfahrenen und weniger erfahrenen Kollegen.

Tabelle 2 ist zu entnehmen, dass unerwünschte Effekte beim Einsatz von Antipsychotika von nahezu allen Befragten ernst genommen werden.

Tab. 2. Einschätzung der Bedeutung unerwünschter Arzneimittelwirkungen bei der Therapie mit Antipsychotika (Nennungen [%]; jeweils häufigste Nennung fett gedruckt)


Sehr wichtig

Wichtig

Weniger wichtig

Unwichtig

Zentralnervös

54

40,3

5,4

0,4

Gastrointestinal

21,5

54,8

23,3

0,4

Dermatologisch

29,1

51,4

18,7

0,7

Hämatologisch

90,4

7,9

1,8

0

Endokrinologisch

44,4

44,8

10,8

0

Kardiovaskulär

82,5

15,4

2,1

0

Gewichtszunahme

22,5

57,1

20

0,4

Am stärksten werden demnach hämatologische und kardiovaskuläre Nebenwirkungen beachtet.

Zentralnervöse und gastrointestinale Nebenwirkungen werden von erfahrenen Psychiatern wichtiger eingeschätzt (Mann-Whitney-U-Test, z=3,04 bzw. 2,57, p jeweils <0,01).

Tabelle 3 gibt schließlich einen Überblick über die Häufigkeit, mit der in der Akut- wie auch in der Langzeitbehandlung Routineuntersuchungen durchgeführt werden.

Tab. 3. Häufigkeit der Durchführung von Routineuntersuchungen bei der Akut- und Langzeitbehandlung (Nennungen [%], häufigster Untersuchungsrhythmus fett gedruckt)

Wöchentlich

Monatlich

Vierteljährlich

Jährlich

Akutbehandlung

EEG

42

50,8

6,5

0,8

EKG

4,9

46,8

24

24,3

Labor

78,1

21,1

0,8

0

Langzeitbehandlung

EEG

20,1

10,1

45,9

23,9

EKG

3,8

6,9

21,8

67,4

Labor

50,4

18

31,6

0

Am häufigsten finden demnach in der Akutphase Laborkontrollen statt (knapp 80% der Befragten führen diese wöchentlich durch), aber auch EEGs werden in über 90% der Fälle mindestens monatlich veranlasst. EKGs werden routinemäßig seltener eingesetzt, nur etwa 50% führen diese mindestens monatlich durch, knapp ein Viertel der Befragten sogar nur jährlich.

In der Dauerbehandlung ergibt sich ein ähnliches Bild, nur dass die Zeitabstände zwischen den Routineuntersuchungen insgesamt größer sind. Am häufigsten finden immer noch Laborkontrollen statt, die von der Hälfte der Befragten wöchentlich durchgeführt werden, gefolgt von EEG und EKG, die allerdings mehrheitlich in minimal vierteljährlichem Abstand zum Einsatz kommen.

Während sich in der Akutbehandlung bezogen auf die Häufigkeit von Routineuntersuchungen kein Unterschied zwischen erfahrenen und weniger erfahrenen Psychiatern findet, setzen Kollegen mit höherer Erfahrung in der Dauerbehandlung Routineverfahren insgesamt seltener ein (Mann-Whitney-U-Test, z=2,72, p<0,01 für EEG, z=2,04 und 2,42, jeweils p<0,05).

Diskussion

Dies ist die bislang größte Erhebung von Daten zu Verordnungsgewohnheiten atypischer und typischer Antipsychotika in deutschen Versorgungskliniken.

Schizophrenie manifestiert sich klinisch durch sehr unterschiedliche Symptome. Die neuen Antipsychotika zeigen ebenfalls eine deutliche Variabilität in ihren Wirkungsmechanismen, klinisch zeigen sich daher sehr unterschiedliche Wirkungen, Nebenwirkungen und Interaktionen. Die Auswahl des geeigneten Medikaments sollte sich deshalb individuell am einzelnen Patienten ausrichten [7]. Die S3-Behandlungsleitlinie Schizophrenie der DGPPN aus dem Jahr 2006 gibt klinische Leitlinien zur pharmakologischen Behandlung schizophrener Psychosen [3].

Allerdings richten sich auch die Befragten in unserer Studie nicht immer nach den Empfehlungen, sei es, weil ihre Erfahrungen in der Praxis andere sind, oder weil ihnen diese Leitlinien vielleicht nicht im Detail bekannt sind.

So wird bei der Auswahl des Antipsychotikums – konventionell oder atypisch – sowohl bei Erstmanifestationen als auch bei der generellen Behandlung einer akuten schizophrenen Episode in diesen Leitlinien ein Atypikum empfohlen. Besonders die überlegene Wirksamkeit bei Negativsymptomatik und die geringeren dosisabhängigen extrapyramidal-motorischen Nebenwirkungen werden betont. Metaanalysen und andere Behandlungsempfehlungen präferieren ebenfalls Atypika in der Behandlung akuter und chronischer Psychosen [2, 3, 10].

Berger und Fritz [1] fanden hingegen in einer kleiner angelegten Befragung aus dem Jahr 2000 noch eine eindeutige Tendenz zu klassischen Antipsychotika. Auf die Frage nach dem Mittel der ersten Wahl bei der Standardbehandlung der Schizophrenie spielten Atypika keine Rolle.

Im Gegensatz zu diesen Befunden werden von den Ärzten in unserer Studie Atypika gegenüber klassischen Antipsychotika leicht bevorzugt. Besonders deutlich wird diese Präferenz bei Vorliegen von Negativsymptomatik. Mit zunehmender Berufserfahrung werden Atypika zudem stärker bevorzugt.

Falls dennoch die Auswahl auf ein typisches Antipsychotikum gefallen ist, sollten nach der DGPPN-Leitlinie in der Akuttherapie in erster Linie Haloperidol, Flupentixol, Fluphenazin oder Perazin verwendet werden [4]. Zumindest die beiden erstgenannten Substanzen werden auch von unserer Stichprobe am häufigsten als (klassisches) Antipsychotikum erster Wahl genannt.

Für atypische Neuroleptika wird keine Empfehlung für ein bestimmtes Präparat gegeben.

Die Monotherapie mit einem Antipsychotikum ist in der Therapie der akuten schizophrenen Episode zu bevorzugen (Empfehlungsgrad C). Bei uns geben viele Kollegen eine Kombinationstherapie an, dieser reale Praxisaspekt könnte unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass versucht wird, in Zeiten des Kostendrucks schneller zum Erfolg zu gelangen. Eine Kombinationsbehandlung im Sinne einer gleichzeitigen Gabe mehrerer Antipsychotika ist aber mit Ausnahme der Therapieresistenz nicht zu empfehlen (allerdings nur Empfehlungsgrad C, [4]).

Bei Behandlungsresistenz sollte zunächst von einem konventionellen auf ein atypisches Antipsychotikum umgestellt werden, bei Resistenz unter atypischer Therapie auf ein anderes Atypikum, schließlich auf Clozapin umgestellt werden (Empfehlungsgrad B) [4].

Da getrennt nach Typika und Atypika bei Therapieresistenz gefragt wurde, ist die Umsetzung dieser Leitlinie in unserer Stichprobe nicht überprüfbar, allerdings wird Clozapin bei Therapieresistenz signifikant häufiger eingesetzt und ist dort mit 63,8% sogar die Substanz erster Wahl – leitliniengerecht.

Unsere Ergebnisse zeigen darüber hinaus, dass eine Tendenz hin zu Risperidon als erste Wahl bei älteren Personen existiert. Auch Quetiapin wird häufiger eingesetzt, Olanzapin spielt hier nur eine sehr untergeordnete Rolle. Da von allen atypischen Antipsychotika nur Risperidon eine Zulassung für Aggressivität bei Demenz besitzt, sind diese Befunde unmittelbar einsichtig.

Bei jüngeren Patienten dominiert als Medikament der ersten Wahl Olanzapin vor Risperidon. Das geringere Risiko von EPS dürfte hierbei eine Rolle spielen.

Das Geschlecht der Patienten spielte im Gegensatz zur Studie von Günther et al. aus dem Jahr 2005 [6] eine deutliche Rolle. Während bei den Typika der ersten Wahl Haloperidol bei Frauen und Männern annähernd gleichermaßen dominiert, zeigen die Ergebnisse bei den atypischen Antipsychotika deutliche Geschlechtsunterschiede. Bei der Behandlung von Frauen scheinen die Nebenwirkungen der atypischen Antipsychotika eine besondere Rolle zu spielen. So ist die erste Wahl der Medikamente annähernd gleich auf Risperidon, Olanzapin und Quetiapin verteilt. Bei der Behandlung von Männern steht jedoch Olanzapin vor Risperidon im Vordergrund, Quetiapin spielt hier nur eine untergeordnete Rolle. Dies könnte möglicherweise an einer schwächer eingeschätzten antipsychotischen Wirksamkeit des Quetiapins liegen.

Bei Männern spielt eventuell auch die Gewichtszunahme unter Olanzapin bei der Entscheidungsfindung eine eher untergeordnete Rolle.

Beim praktischen Einsatz von Antipsychotika wird sich, was die Wahl des Medikaments betrifft, vor allem an Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil orientiert; die Behandlungskosten und auch die Wünsche des Patienten spielen hingegen eine geringere Rolle. Allerdings werden genau diese beiden Größen von Psychiatern mit mehr Berufserfahrung stärker berücksichtigt.

Bei den Nebenwirkungen selbst sind es vor allem kardiovaskuläre und hämatologische unerwünschte Wirkungen, die besonders beachtet werden.

Dies ist wiederum um so erstaunlicher, da EKGs als Routineuntersuchungen eher weniger häufig zum Einsatz kommen, etwa die Hälfte aller Befragten gibt an, in der Akutbehandlung höchstens vierteljährlich ein EKG durchzuführen, in der Langzeitbehandlung wird sogar von zwei Drittel der Befragten nur einmal pro Jahr ein EKG angeordnet.

Zusammenfassend kann aus dieser Studie abgeleitet werden, dass an deutschen Versorgungskliniken relativ deutliche Vorstellungen zur Differenzialindikation von Antipsychotika bestehen. In vielen Punkten decken sich die Ergebnisse dieser Studie mit den Therapieempfehlungen der DGPPN, in einigen weichen sie deutlich ab. Die Auswahlkriterien der Antipsychotika scheinen sich immer mehr an den unerwünschten Arzneimittelwirkungen zu orientieren. Mit Blick auf die Patientencompliance ist dies sehr sinnvoll, kommt es doch gerade wegen der Nebenwirkungen der Antipsychotika zum Absetzen der Medikamente durch den Patienten.

Eine weitere Annäherung an die Leitlinien der DGPPN [4] wäre im Sinne der Behandlungsqualität und weiterer Complianceverbesserung wünschenswert.

Literatur

1. Berger H, Fritz U. Die Akutbehandlung mit Psychopharmaka in den Jahren 1990–2000. Ergebnisse einer Umfrage zu den Verordnungsgewohnheiten psychiatrischer Kliniken. Psychiat Prax 2004;31:68–73.

2. Davis JM, Chen N, Glick ID. A meta-analysis of the efficiency of second-generation antipsychotics. Arch Gen Psychiatry 2003;60: 533–64.

3. Fritze J, Schmauß M, Holsboer F. Änderung der Arzneimittel-Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen bezüglich atypischer Neuroleptika. Stellungnahme der DGPPN und AGNP. Nervenarzt 2003;74: 97–9.

4. Gaebel W, Falkai P, Weinmann S, Wobrock T. S3-Behandlungsleitlinie Schizophrenie. Darmstadt: Steinkopff Verlag, 2006.

5. Gentile S. Atypical antipsychotics for the treatment of bipolar disorder: more shadows than lights. CNS Drugs 2007;21:367–87.

6. Gründer G, Vernaleken I, Benkert O. Welche Eigenschaften machen ein Atypikum „atypisch“? Nervenarzt 2001;72:833–43.

7. Günther W, Laux G, Trapp W, Müller N, et al. Differenzialindikation atypischer Neuroleptika: Amisulprid, Clozapin, Olanzapin, Quetiapin und Risperidon. Ergebnisse einer Pilotstudie zu Verordnungsgewohnheiten in psychiatrischen Versorgungskliniken der BRD. Nervenarzt 2005;76:278–84.

8. Heres S, Davis J, Maino K, Jetzinger E, et al. Why olanzapine beats risperidone, risperidone beats quetiapine, and quetiapine beats olanzapine: an exploratory analysis of head-to-head comparison studies of second-generation antipsychotics. Am J Psychiatry 2006;163:185–94.

9. Kapur S, Remington G. Atypical antipsychotics: new directions and challenges in the treatment of schizophrenia. Ann Rev Med 2001;52:503–17.

10. Möller HJ. Aktuelle Bewertung neuer/atypischer Neuroleptika. Nervenarzt 2000;71: 329–44.

11. Naber D. Atypische Neuroleptika in der Behandlung schizophrener Patienten. 2. Aufl. Bremen: UNI-MED, 2000.

12. Schwabe A, Paffrath U (Hrsg.). Arzneiverordnungs-Report 2007: Aktuelle Daten, Kosten, Trends und Kommentare. Heidelberg: Springer-Verlag, 2008.

Federführender Autor: Prof. Dr. Dr. med. Wilfried Günther, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, St.-Getreu-Straße 14–18, 96049 Bamberg

Prescription habits in psychiatric clinical usage in Germany – Part I: Antipsychotics

For every second generation antipsychotic at least one study exists denominating it “best of its class”. Therefore, choosing the appropriate antipsychotic is difficult for the practitioner. This study describes results from a survey concerning medication concepts of physicians (n=283) in psychiatric hospitals in Germany. Particularly differential indications and adverse effects formed the center of interest. The results indicate that the practical use of antipsychotics often differs from recent guidelines.

Therefore, a further approach towards published guidelines would be desirable to enhance quality of treatment and compliance.

Keywords: Antipsychotics, neuroleptics, medication habits, first generation antipsychotics, second generation antipsychotics, compliance, guidelines

Psychopharmakotherapie 2008; 15(05)