Dr. Alexander Kretzschmar, München
Bei der MS gibt der klinische Schub nur geringe Hinweise über die eigentliche Krankheitsaktivität, er ist nur die „Spitze des Eisbergs der Erkrankung“, meinte Dr. Tjalf Ziemssen vom MS-Zentrum der TU Dresden. MRT-Verlaufsuntersuchungen zeigen, dass auf jeden Schub rund zehn Entzündungsherde kommen. Für die MS-Therapie spielt die Beurteilung der Krankheitsaktivität daher eine ebenso große Rolle wie die klinische Symptomatik.
Mit Natalizumab (Tysabri®) ist inzwischen der erste humanisierte monoklonale Antikörper zur MS-Therapie zugelassen. Weltweit wurden bisher über 36000 Patienten damit behandelt. Mit einer relativen Risikoreduktion eines neuen Schubs nach zwei Jahren um 68% und der Reduktion einer anhaltenden Behinderungsprogression um 54% sind die Ergebnisse etwa doppelt so gut wie unter der Therapie mit Interferon beta.
Wichtig ist eine genaue Patientenselektion entsprechend den Zulassungskriterien, um diese Ergebnisse auch in der Praxis zu realisieren. Natalizumab ist in Europa zugelassen in Monotherapie bei Patienten mit schnell voranschreitender, schwerer schubförmiger MS oder bei Patienten mit neuen Schüben, also hoher Krankheitsaktivität, unter einer Therapie mit Interferon beta. Bis vor wenigen Jahren war bei solchen Patienten nur die Therapie mit einem Zytostatikum möglich, die jedoch nur für einen begrenzten Zeitraum angewendet werden konnte und mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden war.
Die häufigsten Nebenwirkungen waren in der Zulassungsstudie mit Natalizumab Kopfschmerzen (38%), Ermüdung (27%), Harnwegsentzündungen (20%) und Arthralgien (19%) sowie Infusionsreaktionen (24%). Allergische Überempfindlichkeitsreaktionen wurden nur bei 4% der Patienten beobachtet. Neue Fälle einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) wurden nicht beobachtet.
Schubrate auch in der Praxis „erfreulich gering“
Natalizumab wird derzeit in mehreren Studien im Rahmen von Pharmakovigilanz-Untersuchungen in der Praxis beobachtet. Bisher ist jedoch die Schubrate auch in der Routineversorgung „erfreulich gering“, so Gold. Genaue Zahlen lassen sich derzeit noch nicht nennen, da bisher mehr Interferon-resistente MS-Kranke auf Natalizumab umgestellt wurden, im Vergleich zu „echten“ Neueinstellungen.
Am Universitätsklinikum Bochum existiert ein unabhängiges Referenzlabor, in dem Blutproben auf Natalizumab-Antikörper untersucht werden. Eine erste Auswertung von rund 800 Patienten zeigt eine Antikörperbildung bei rund 5 bis 6% der Behandelten. Persistierende Antikörper wurden nur in etwa 4% der Fälle beobachtet.
Quelle
Prof. Dr. Ralf Gold, Bochum, Dr. Tjalf Ziemssen, Dresden, Sven Möllers, Beverungen. Pressekonferenz „Schübe vermeiden, bei Schüben handeln – Frühe und effektive Therapie der multiplen Sklerose mit Tysabri®“, München, 3. Juni 2008, veranstaltet von Biogen Idec GmbH.
Psychopharmakotherapie 2008; 15(05)