Wie wirksam sind Antidepressiva?


Zur Bedeutung von Plasmakonzentrations-Wirksamkeits-Studien

Stellungnahme der TDM-Gruppe der AGNP

Veranlasst durch eine Metaanalyse von Kirsch und Mitarbeitern [6] ist in der Fachpresse und andernorts die Problematik des Wirksamkeitsnachweises von Antidepressiva kontrovers diskutiert worden. Aufgrund des großen Echos in den Medien und der Bedeutung der Thematik für die Gesundheitspolitik haben sich verschiedene Fachgesellschaften, wie die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN), kritisch mit metaanalytischen Prüfungen zur Darstellung der klinischen Wirksamkeit von Antidepressiva auseinandergesetzt. Auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) hat sich kürzlich zum gleichen Thema geäußert [2] (siehe Seite 160–1).

Die TDM-Gruppe der AGNP möchte mit dieser Stellungnahme darauf aufmerksam machen, dass die geführte Diskussion sowohl bei den Autoren als auch bei den Kritikern der Metaanalyse offenbart, dass ein für pharmakologische Wirkungen wesentlicher Aspekt nicht berührt wurde: das Prinzip der Dosis- beziehungsweise Plasmakonzentrations-Wirkungs-Beziehung. Da die Annahme einer solchen Beziehung Grundlage der Anwendung von therapeutischem Drug-Monitoring (TDM) ist [3], nimmt die TDM-Gruppe der AGNP zum Thema der Wirksamkeit von neuen Antidepressiva wie folgt Stellung.

Weder bei der Selektion der Studien für die Metaanalyse noch bei der Kritik an den Ergebnissen der Analyse von Kirsch und Mitarbeitern wurde berücksichtigt, dass eine experimentell oder in naturalistischen Studien gefundene positive Dosis-Wirkungs-Beziehung seit langem (Paracelsus 1493–1541) der bestmögliche Beleg für die Wirksamkeit eines Medikaments ist. Für ein Plazebo wird man keine Dosis-Wirksamkeits-Beziehung finden. Tatsächlich wurde zum Beispiel für die neuen Antidepressiva Citalopram [9] und Venlafaxin [5] eine Dosis-Wirkungs-Beziehung beschrieben.

Ein noch engerer Zusammenhang als zwischen Dosis und Wirkung ist zwischen Plasmakonzentration und Wirkung anzunehmen. Denn die pharmakokinetische Variabilität der Patienten bedingt, dass bei gleicher Dosis bei verschiedenen Patienten sehr unterschiedliche Wirkspiegel resultieren können, und es gibt gute Evidenz, dass Konzentrationen im Blut direkt mit den Konzentrationen im Gehirn korrelieren [4]. Für selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) ist mit Hilfe von Positronenemissions-tomographischen Untersuchungen gezeigt worden, dass Plasmakonzentrationen sehr gut mit der Besetzung von Serotonintransportern im Gehirn korrelieren [7].

Für einige trizyklische Antidepressiva, die nichtselektive Monoamin-Wiederaufnahmeinhibitoren (NSRMI) sind, konnte ein Zusammenhang zwischen Plasmakonzentration und Wirksamkeit gezeigt bzw. wahrscheinlich gemacht werden [10], was ein Beleg für Wirksamkeit ist. Der ähnliche pharmakologische Mechanismus von NSMRI und neuen Antidepressiva wie SSRI, nämlich die Verstärkung der aminergen Neurotransmission durch Wiederaufnahmehemmung, erlaubt die Hypothese einer Plasmakonzentrations-Wirksamkeits-Beziehung auch für neue Antidepressiva. Für neue Antidepressiva ist die Datenlage bezüglich des Nachweises einer Plasmakonzentrations-Wirksamkeits-Beziehung jedoch unzureichend. Eine solche Beziehung darzustellen, gehört bislang für die Entwicklung und Zulassung eines Antidepressivums oder auch anderer Psychopharmaka nicht zum Standard. Bisher wurde die grundlegende Bedeutung der Darstellung von Plasmakonzentrations-Wirksamkeits-Beziehungen für neue Antidepressiva nicht erkannt und deshalb nicht konsequent erforscht. Diese Unterlassung offenbart sich nun als ein wesentlicher Schwachpunkt in der gegenwärtigen Diskussion um die Wirksamkeit der Antidepressiva.

Schließlich sei darauf hingewiesen, dass bei den Wirksamkeitsstudien die Compliance bzw. Non-Compliance der Patienten eine Rolle spielen könnte, insbesondere wenn es sich um Studien in ambulantem Setting handelt [8]. Es ist, wie oben ausgeführt, nicht üblich, Plasmakonzentrationen von Antidepressiva bei Wirksamkeitsstudien zu messen. Daher werden in den Verum-Gruppen möglicherweise auch nicht-compliante Patienten eingeschlossen. Dies könnte auch für die Studien zutreffen, die von Kirsch und Mitarbeitern für die Metaanalyse ausgewählt wurden.

Die TDM-Gruppe der AGNP fordert deshalb Studien über Plasmakonzentrations-Wirksamkeits-Beziehungen für alle neuen Antidepressiva. Diese Studien müssen im Vergleich zu früheren Arbeiten mit einer stark verbesserten Methodologie durchgeführt werden. Wenn die üblichen Plazebo-kontrollierten Wirksamkeitsstudien durch Plasmakonzentrations-Messungen begleitet werden, lassen sich Fehlerquellen bei der medikamentösen Einstellung vermeiden oder verringern, wie Nichteinnahme oder abnorme Verstoffwechselung der Studienmedikation. Erkenntnisse aus Untersuchungen der Dosis- und Plasmakonzentrations-Wirksamkeits-Beziehungen können auch unmittelbar für therapeutische Verbesserungen nutzbar gemacht werden, wie etwa eine verbesserte Dosierung, eine sicherere Handhabung von Kombinationsbehandlungen bei pharmakokinetischen Wechselwirkungen oder eine verbesserte Einstellung von Patienten mit genetischen Besonderheiten im Metabolismus von Medikamenten.

Literatur

1. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Empfehlungen zur Therapie der Depression. 2. Aufl. Arzneiverordnung in der Praxis (Therapieempfehlungen), Juli 2006; Band 33, Sonderheft 1.

2. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ). Stellenwert von Antidepressiva in der Depressionsbehandlung. Stellungnahme der AkdÄ vom 17.04.2008, www.akdae.dewww.akdae.de

3. Baumann P, Hiemke C, Ulrich S, Eckermann G, et al.; Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie. The AGNP-TDM expert group consensus guidelines: therapeutic drug monitoring in psychiatry. Pharmacopsychiatry 2004;37: 243–65.

4. Glotzbach RK, Preskorn SH. Brain concentrations of tricyclic antidepressants: single-dose kinetics and relationship to plasma concentrations in chronically dosed rats. Psychopharmacology 1982;78:25–7.

5. Kelsey JE. Dose-response relationship with venlafaxine. J Clin Psychopharmacol 1996; 16(Suppl 2):21S–6S.

6. Kirsch I, Deacon BJ, Huedo-Medina TB, et al. Initial severity and antidepressant benefits: a meta-analysis of data submitted to the Food and Drug Administration. PLoS Med 2008;5:e45.

7. Meyer JH, Wilson AA, Sagrati S, et al. Serotonin transporter occupancy of five selective serotonin reuptake inhibitors at different doses: an [11C]DASB positron emission tomography study. Am J Psychiatry 2004;161: 826–35.

8. Lingam R, Scott J. Treatment non-adherence in affective disorders. Acta Psychiatr Scand 2002;105:164–72.

9. Montgomery SA. Selecting the optimum therapeutic dose of serotonin reuptake inhibitors: studies with citalopram. Int Clin Psychopharmacol 1995;10(Suppl 1):23–7.

10. Ulrich S, Läuter J. Comprehensive survey of the relationship between serum concentration and therapeutic effect of amitriptyline in depression. Clin Pharmacokinet 2002;41:853–76.

TDM-Gruppe der AGNP: Christoph Hiemke, Mainz (Vorsitzender), Sven Ulrich, Magdeburg, Pierre Baumann Lausanne, Karl Broich, Bonn, Andreas Conca, Feldkirch, Ursula Havemann-Reinecke, Göttingen, Manfred Gerlach, Würzburg, Ekkehard Haen, Regensburg, Gerd Laux, Wasserburg, Bruno Müller-Oerlinghausen, Berlin, Bruno Pfuhlmann, Würzburg, Peter Riederer, Würzburg, Markus Schwarz, München, Gerald Zernig, Innsbruck Die weiteren TDM-Gruppen-Mitglieder: Niels Bergemann, Daun, Jürgen Deckert, Würzburg, Otto Dietmaier, Weinsberg, Mathias Dobmeier, Cham, Gabriel Eckermann, Kaufbeuren, Miriam Fric, Wasserburg, Eveline Jaquenoud Sirot, Königsfelden, Uwe Jürgens, Bielefeld, Julia Kirchheiner, Ulm, Hans-Joachim Kuss, München, Thomas Messer, Augsburg, Marie-Luise Rao, Bonn, Bernd Schoppek, Haar Prof. Dr. Christoph Hiemke, Vorsitzender der TDM-Gruppe der AGNP (Korrespondenzautor), Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universität Mainz, Untere Zahlbacher Str. 8, 55101 Mainz, E-Mail: hiemke@mail.uni-mainz.de

Psychopharmakotherapie 2008; 15(04)