Restless-Legs-Syndrom (RLS)


Definition und Symptomatik

Mit einer altersabhängigen Prävalenz von 3 bis 10% ist das Restless-Legs-Syndrom (RLS) eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen, deren Beschwerden sich in einem sehr unterschiedlich ausgeprägten Schweregrad äußern können und die in der Regel chronisch-progredient verläuft. Charakteristisch ist ein erheblicher Bewegungsdrang der Beine, seltener auch der Arme, oft begleitet von Missempfindungen oder Schmerzen. Die Beschwerden treten ausschließlich in Ruhesituationen, insbesondere in den Abend- und Nachtstunden auf. Die Symptome äußern sich häufig beidseitig symmetrisch oder alternierend und bessern oder verschwinden vollständig bei Bewegung oder Aktivität, mindestens solange die Bewegung anhält [2].

Die Folge können Ein- und Durchschlafstörungen mit resultierender Tagesmüdigkeit und Erschöpfung sein. In diesen Fällen zeigt das Schlafprofil eine verlängerte Einschlaflatenz, häufigere Arousals und Wachphasen, eine Verringerung der Tiefschlaf- und REM-Phasen sowie der Schlafeffizienz im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen.

Supportive Kriterien für die Diagnose eines RLS sind:

l Mehr als 50% der Patienten mit einem idiopathischen RLS haben eine positive Familienanamese

l Ansprechen auf dopaminerge Therapie (100 mg abends oder nach Einsetzen der Symptome am Tag) erhärtet die Diagnose, ein fehlender Effekt schließt ein RLS jedoch nicht aus

l Periodische Beinbewegungen im Schlaf (Periodic Leg Movements in Sleep – PLMS >5/Stunde treten bei etwa 85% der erwachsenen RLS-Patienten auf)

Genetik

2007 konnten die ersten Ergebnisse einer genomweiten Assoziationsstudie aufzeigen, dass genetische Risikovarianten in drei genomischen Regionen existieren, in denen die Gene MEIS1, BTBD9 und LBXCOR1/MAP2K5 annotiert sind [10]. Träger eines Risikoallels haben ein 50% erhöhtes Risiko, an RLS zu erkranken.

Diagnostik

Die Diagnose des RLS erfolgt anhand der klinischen Symptome. Dazu wurden 2003 von der International Restless Legs Syndrome Study Group in einer revidierten Fassung vier essentielle Diagnosekriterien formuliert, wie in der Einleitung zusammenfassend beschrieben (The International Restless-Legs-Syndrome Study Group, 1995; [2]).

Der neurologische Befund ist beim idiopathischen RLS, bei dem keine auslösende Grunderkrankung diagnostiziert werden kann, in der Regel unauffällig, ebenso wie der psychopathologische. In der klinischen Praxis berichten Patienten jedoch oft über verminderte Leistungsfähigkeit, Erschöpfung und niedergedrückte Stimmung. So sind bei Patienten mit idiopathischem RLS häufiger Depressionen und Angststörungen zu beobachten [9].

Sekundäre (= symptomatische) Formen des RLS finden sich zum Beispiel:

l bei Urämie,

l bei Eisenmangelanämie und bei niedrigen Ferritinwerten auch ohne Eisenmangelanämie,

l in der Schwangerschaft,

l bei neurologischen Erkrankungen (Polyneuropathien, Myelopathien, multipler Sklerose, M. Parkinson und spinocerebellären Ataxien),

l pharmakogen induziert (bei dopaminantagonistisch wirkenden Substanzen wie den klassischen Neuroleptika, aber auch Metoclopramid, den tri- und tetrazyklischen Antidepressiva, Serotonin-Wiederaufnahmehemmern und gelegentlich auch bei sog. „atypischen“ Neuroleptika)

Folgende Zusatzuntersuchungen werden empfohlen:

1. Elektromyographie und Elektroneurographie (zur differenzialdiagnostischen Abgrenzung von Polyneuropathien)

2. Laboruntersuchungen. Um sekundäre RLS-Formen ausschließen zu können, sollte der Ferritinwert zur Bestimmung der Eisenspeicher kontrolliert werden. (Eisen-Substitution auch bei niedrig normalen Ferritin-Werten [<50 µg/l] empfehlenswert). Überprüft werden sollten ebenfalls die Nierenretentionswerte (bei Urämie erhöht).

Die Leitlinie im Volltext:

Restless-Legs-Syndrom (RLS). In: Kommission „Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie“, Diener HC et al. (Hrsg.). Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. 4. Aufl. Stuttgart: Georg Thieme Verlag, 2008.

Online unter www.dgn.org

3. Polysomnographie. Bei Patienten mit „atypischem“ RLS oder anhaltenden Schlafstörungen, Tagesmüdigkeit als Leitsymptom, Verdacht auf zusätzliche schlafbezogene Atmungsstörungen oder bei jungen Patienten mit schwerem RLS vor Beginn einer Dauertherapie mit dopaminergen Substanzen oder Opiaten kann die Durchführung einer Polysomnographie erforderlich sein (siehe Konsensus der Arbeitsgruppe „Motorik und Schlaf“ der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin; [5]).

4. Aktigraphie zur Messung der periodischen Beinbewegungen [6] oder Immobilisationstests können eine weniger aufwendige Alternative zur Durchführung einer Polysomnographie sein [Übersicht bei 3].

5. L-Dopa-Test. Eine einmalige Gabe von 100 mg Levodopa wird nach Einsetzen der Beschwerden verabreicht, danach das Ansprechen anhand von Schweregradskalen bestimmt. Durch den Test kann bei bisher unbehandelten Patienten in 90% die vermutete Diagnose eines RLS pharmakologisch unterstützt werden (Sensitivität 88%, Spezifität 100% bei einer Verbesserung um > 50% auf der Schweregradskala, Details bei [7]).

Differenzialdiagnostisch müssen die in Tabelle 1 genannten Erkrankungen abgeklärt werden, wobei die häufigste und wichtigste Differenzialdiagnose des RLS die Polyneuropathie (PNP) ist. Erschwerend kann dabei sein, dass Patienten sowohl eine PNP als auch eine eindeutige RLS-Symptomatik aufweisen können.

Tab. 1. Differenzialdiagnosen eines RLS

Polyneuropathien, Erythromelalgie, Radikulopathien

Venöse Erkrankungen der Beine

“Painful legs and moving toes“– Syndrom

Chronische Schmerzsyndrome anderer Ätiologie

Benigne Muskel-/Wadenkrämpfe

Einschlafmyoklonien

Neuroleptika-induzierte Akathisie

Generalisierte innere Unruhe z.B. im Rahmen einer psychischen Erkrankung

Myelopathien, enger Spinalkanal

Schlaf-Apnoe-Syndrom

PLMD (Periodic Limb Movement Disorder) ohne subjektive RLS-Symptomatik

Die Schwere der Ausprägung des RLS lässt sich diagnostisch durch die von der Internationalen Restless Legs Syndrome Study Group validierte Schweregradskala (IRLS) [8] beschreiben.

Therapie

Die dopaminerge Therapie ist die Behandlung erster Wahl bei RLS, wobei in Abhängigkeit von der Schwere der Symptomatik, der zeitlichen Verteilung der Beschwerden und bereits bestehender Nebenwirkungen (z.B. Augmentation, siehe letzter Absatz) bei Vorbehandlungen zwischen einer Therapie mit Levodopa und Dopaminagonisten (DA) abzuwägen ist.

Bei symptomatischem RLS erfolgt zunächst eine Behandlung der zugrunde liegenden oder assoziierten Erkrankung (z.B. orale Eisensubstitution bei Eisenmangel oder bei niedrig normalen Ferritinwerten, Nierentransplantation bei urämischem RLS).

In Deutschland sind Levodopa in Kombination mit Benserazid (Restex® und Restex® retard) in der Standard- und Retardform sowie die nicht ergolinen Dopaminagonisten Ropinirol (Adartrel®) und Pramipexol (Sifrol®) für die Indikation RLS zugelassen. Für die Ergot-Dopaminagonisten Cabergolin und Pergolid liegen bereits umfangreiche Studien zur positiven Wirksamkeit bei RLS vor, eine Zulassung wurde aber von den entsprechenden Herstellerfirmen nicht beantragt, deshalb sind diese Medikamente weiter als „off label“ zu bezeichnen.

Für das Rotigotin-Pflaster wurde die Zulassung bei der EMEA eingereicht und in einem ersten Schritt (positive opinion) positiv beschieden. Für das Lisurid-Pflaster liegen erste positive Therapiestudien in Abstractform vor.

Opiate gelten als Therapie der zweiten Wahl bei RLS. Kontrollierte Erfahrungen liegen bisher nur mit Oxycodon vor. Obwohl Opiate in der Praxis bei RLS häufig verwendet werden und insbesondere zur Therapie der Augmentation eine Behandlungsalternative zu Dopaminergika darstellen, sind nur wenige Daten verfügbar.

Alternativ können Carbamazepin oder Gabapentin verabreicht werden. Aus theoretischen Überlegungen und klinischer Erfahrung könnten Opiate oder Antiepileptika besonders geeignet sein bei schmerzhaften sekundären RLS-Formen, zum Beispiel bei Polyneuropathie. Kurz- bis mittellang wirksame Benzodiazepinrezeptoragonisten können in Einzelfällen in Kombinationstherapie kurzzeitig indiziert sein. Kombinationen von Medikamenten aus verschiedenen Wirkstoffklassen sind bislang wissenschaftlich nicht untersucht.

Dosierungen von Dopaminagonisten mit Indikation RLS

Die empfohlene Initialdosis von Pramipexol (Sifrol®) beträgt ein halbe Tablette Sifrol® 0,18 mg einmal täglich. Bei nicht ausreichender Wirkung kann die Dosis auf 1 Tablette 0,18 mg und weiter alle 4 Tage bis zu einer maximalen Tagesdosis von 3 Tabletten 0,18 mg erhöht werden.

Die empfohlene Initialdosis von Ropinirol (Adartrel®) beträgt 0,25 mg. Die Dosis wird laut Empfehlung aus den Studien am Tag 3 auf 0,5 mg, ab der 2. Woche auf 1 mg, ab der 3. Woche auf 1,5 mg und ab der 4. Woche auf 2 mg gesteigert. Um eine optimale Wirkung zu erreichen, kann eine weitere Dosiserhöhung (z.B. ab Woche 5: 2,5 mg, ab Woche 6: 3 mg, ab Woche 7: 4 mg) notwendig werden. Dosierungen über 4 mg wurden in den Zulassungsstudien für RLS nicht untersucht.

Bei Patienten mit ausschließlich nächtlichen Symptomen werden die Dopaminagonisten oder Opiate in den Abendstunden gegeben. Bei der Gabe von Levodopa sollte das kurzwirksame unretardierte Präparat mit einem Retardpräparat kombiniert werden. Bei Beschwerden in den frühen Abendstunden oder auch tagsüber ist meistens eine individuelle Titration und Dosisanpassung notwendig, um eine optimale Beschwerdelinderung zu erreichen.

Nebenwirkungen

Bei sämtlichen Dopaminagonisten können – insbesondere in den ersten 4 Wochen der Behandlung – Nebenwirkungen, wie Übelkeit, Benommenheit oder orthostatische Dysregulation auftreten. Ergot-Agonisten, wie Pergolid oder Cabergolin stellen derzeit nicht mehr die Medikamente erster Wahl dar [11], da sie unter anderem zu Herzklappenfibrosen führen können. Bei Gabe wird eine Kontrolle des Herzechobefunds alle 6 Monate empfohlen.

Augmentation

Unter dopaminerger Therapie kann es zu einer Komplikation, der sogenannten Augmentation kommen: Die Symptome beginnen früher (im 24-Stunden-Verlauf), die Beschwerden setzen schneller ein, sobald sich die Patienten in Ruhe befinden, und/oder sie nehmen an Intensität zu oder dehnen sich unter stabiler Therapie auf andere Körperbereiche aus [1]. Dazu konnte in einer ersten kontrollierten Studie (CALDIR) über eine Behandlungsdauer von 30 Wochen ein höherer Prozentsatz von Augmentation unter Levodopa /Benserazid im Vergleich zu Cabergolin nachgewiesen werden.

Bei schwerer Augmentation ist eine Umstellung der Therapie erforderlich. Bei Augmentation unter Levodopa sollte man auf Dopaminagonisten, eventuell auch in niedrigeren Dosierungen mit aufgeteilter Gabe (dose splitting), oder auf Opiate, bei Augmentation unter Dopaminagonisten auf Opiate umstellen. Studien hierzu sind noch nicht verfügbar.

Literatur

1. Allen RP, Earley CJ. Augmentation of the restless legs syndrome with carbidopa/levodopa. Sleep 1996;19:205–13.

2. Allen RP, Picchietti D, Hening WA, Trenkwalder C, et al. Restless legs syndrome: diagnostic criteria, special considerations, and epidemiology. A report from the restless legs syndrome diagnosis and epidemiology workshop at the National Institutes of Health. Sleep Medicine 2003;4:101–19.

3. Allen RP. Improving RLS diagnosis and severity assessment: Polysomnography, actigraphy and RLS-sleep log. Sleep Med. Im Druck.

4. Garcia-Borreguero D, Larrosa O, de la Llave Y, Verger K, et al. Treatment of restless legs syndrome with gabapentin: a double-blind, cross-over study. Neurology 2002;59:1573–9.

5. Hornyak M, Kotterba A, Trenkwalder C, and members of the study group “motor disorders” of the German Sleep Society. Indications for performing polysomnography in the diagnosis and treatment of restless legs syndrome. Somnologie 2001;5:159–62.

6. Littner M, Kushida CA, Anderson WM, Bailey D, et al. Practice parameters for the role of actigraphy in the study of sleep and circadian rhythms: an update for 2002. Sleep 2003;26:337–41.

7. Stiasny-Kolster K, Kohnen R, Moller JC, Trenkwalder C, et al. Validation of the “L-DOPA test” for diagnosis of restless legs syndrome. Mov Disord 2006;21:1333–9.

8. Walters AS, LeBrocq C, Dhar A, Hening W, et al. Validation of the International Restless Legs Syndrome Study Group rating scale for restless legs syndrome. Sleep Med 2003;4:121–32.

9. Winkelmann J, Prager M, Lieb R, Pfister H, et al. “Anxietas tibiarum”. Depression and anxiety disorders in patients with restless legs syndrome. J Neurol 2005;252:67–71.

10. Winkelmann J, Schormair B, Lichtner P, Ripke S, et al. Genome-wide association study of restless legs syndrome identifies common variants in three genomic regions. Nat Genet 2007;39:1000–6.

11. Zanettini R, Antonini A, Gatto G, Gentile R, et al. Valvular heart disease and the use of dopamine agonists for Parkinson’s disease. N Engl J Med 2007;356:39–46.

Expertengruppe: Dr. med. Heike Benes, Institut für Schlafmedizin „Somnibene“, Schwerin Priv.-Doz. Dr. med. Magdolna Hornyak, Psychiatrische Universitätsklinik, Freiburg Priv.-Doz. Dr. med. Karin Stiasny-Kolster, Neurologische Universitätsklinik, Marburg Prof. Dr. med. Claudia Trenkwalder, Paracelsus-Elena-Klinik, Kassel, Universität Göttingen Priv.-Doz. Dr. med. Juliane Winkelmann, Max-Planck-Institut für Psychiatrie, München, und Institut für Humangenetik, München Für Österreich: Prof. Dr. Birgit Högl, Neurologische Klinik, Universität Innsbruck Für die Schweiz: Priv.-Doz. Dr. Johannes Mathis, Neurologische Klinik, Universität Bern Federführend: Prof. Dr. med. Claudia Trenkwalder, Paracelsus-Elena-Klinik, Klinikstr. 16, 34128 Kassel, E-Mail: ctrenkwalder@gmx.de

Psychopharmakotherapie 2008; 15(04)