Dr. Heike Oberpichler-Schwenk, Stuttgart
Oxcarbazepin (Timox®, Trileptal®), ein Abkömmling von Carbamazepin, wurde im Jahr 2000 in Deutschland zur Behandlung von fokalen Anfällen mit oder ohne sekundär generalisierte tonisch-klonische Anfälle zugelassen. Zuvor war es bereits in mehreren anderen, unter anderem skandinavischen, Ländern zugelassen. Im Vergleich mit Carbamazepin weist Oxcarbazepin Verträglichkeitsvorteile auf, zum Beispiel ein geringeres Interaktionsrisiko durch weniger enzyminduzierende Wirkungen.
Verträglichkeit des Antiepileptikums als zentrales Kriterium
In der britischen SANAD(Standard and new antiepileptic drugs)-Studie [Health Technol Assess 2007;11] wurden 1721 Patienten mit fokaler Epilepsie, die aufgrund ihres Krankheitsbilds Kandidaten für eine Carbamazepin-Therapie waren, randomisiert auf Carbamazepin, Gabapentin, Lamotrigin oder Topiramat eingestellt (nach dessen Zulassung auch auf Oxcarbazepin). Mit Lamotrigin war aufgrund der Verträglichkeit die Wahrscheinlichkeit des Therapieabbruchs am geringsten, gleichzeitig unterschied es sich in der Wirksamkeit nicht wesentlich vom Standard Carbamazepin, die Daten erlaubten nahezu den Nachweis der Nichtunterlegenheit.
Daraus leiteten die Autoren eine Empfehlung für Lamotrigin als Therapie der ersten Wahl ab. Die dabei zum Ausdruck kommende Berücksichtigung der unerwünschten Wirkungen als primäres Kriterium für die Therapieempfehlung bezeichnete Prof. Elger, Bonn, als „kopernikanische Wende“ in der Epilepsietherapie. Nach seinem Dafürhalten wird in Evidenz-basierten Therapieempfehlungen die Meinung der Patienten zu wenig gewürdigt.
Nach der Einführung auf dem deutschen Markt zeigte sich allerdings relativ rasch, dass Patienten, die bereits zuvor auf Oxcarbazepin (als Import aus Skandinavien) eingestellt worden waren, nun auf das deutsche Präparat vermehrt Unverträglichkeitsreaktionen wie Schwindel oder Sehstörungen zeigten, die eine Dosisreduktion oder eine Verteilung der Tagesdosis auf drei bis vier (statt der üblichen zwei) Einzelgaben erforderlich machten. Es stellte sich heraus, dass das skandinavische Oxcarbazepin-Präparat (Apydan) den Wirkstoff langsamer freisetzte. Anders als mit dem deutschen Präparat kam es also nicht zu so ausgeprägten Plasmaspitzenspiegeln, die für die beobachteten Unverträglichkeitsreaktionen verantwortlich gemacht werden. Kleine Versuchreihen zeigten, dass die Verträglichkeit sich wieder besserte, wenn die Patienten vom deutschen auf das skandinavische Präparat umgestellt wurden.
Die Entwicklung eines Oxcarbazepin-Präparats mit verzögerter Wirkstofffreisetzung erschien daher wünschenswert. Eine galenische Herausforderung war dabei die vergleichsweise große Wirkstoffmenge, die pro Tablette zu verarbeiten ist.
Oxcarbazepin retard
Apydan® extent ist eine Multiple-Unit-Dosage-Retardform, das heißt, zahlreiche winzige Oxcarbazepin-haltige Pellets sind jeweils mit einer freisetzungsverzögernden Schicht überzogen und in eine wasserlösliche Matrix eingebettet. Nach dem Einnehmen zerfällt die Tablette rasch im Magensaft, die Mikropellets werden dank ihrer geringen Größe ohne Verzögerung in den Darm weitertransportiert und geben dort den Wirkstoff nach und nach frei. Die Tabletten können geteilt werden, ohne die Retardwirkung zu beeinträchtigen. Bei Bedarf (z.B. Schluckstörungen) können die Tabletten auch in Wasser suspendiert werden.
Nach einmaliger Gabe von 600 mg Oxcarbazepin als Retardform fiel der Plasmaspitzenspiegel von Oxcarbazepin und seinem aktiven Metaboliten, dem Monohydroxy-Derivat (MHD), wie beabsichtigt niedriger aus als nach Gabe der rasch freisetzenden Form. Die Fläche unter der Plasmakonzentrations-Zeit-Kurve (AUC) war nur geringfügig niedriger (Tab. 1).
Tab. 1. Pharmakokinetische Parameter für das Oxcarbazepin-Monohydroxy-Derivat (MHD) nach Einmalgabe von Oxcarbazepin retard oder IR (immediate release)
Parameter |
Oxcarbazepin retard |
Oxcarbazepin IR |
AUC [µg/(ml x h)] |
115±19 |
140±18 |
Cmax [µg/ml] |
4,4±1,5 |
7,2±0,8 |
tmax [h] |
6,1±2,6 |
4,3±1,1 |
t1/2 [h] |
13±11 |
9,0±1,8 |
Nach wiederholter Gabe ergaben sich mit der Retardform niedrigere Oxcarbazepin-Plasmaspitzenspiegel nach jeder Einnahme als mit der rasch freisetzenden Form; der Plasmaspiegelverlauf der Hauptwirkform MHD war aber mit beiden Darreichungsformen nahezu deckungsgleich (Abb. 1), ebenso die AUC (retard: 194±30 µg/[ml x h], IR: 196±35 µg/[ml x h]). Mit der Retardform werden also gleichmäßigere Plasmaspiegelverläufe bei gleicher Bioverfügbarkeit erzielt.
Abb. 1. Plasmaspiegelverlauf von a) Oxcarbazepin und b) seinem Monohydroxy-Derivat (MHD) nach wiederholter Einnahme von zweimal täglich 300 mg Oxcarbazepin retard oder IR (immediate release) (n=18, randomiserte, offene Cross-over-Studie)
Erste klinische Erfahrungen in Kehl-Kork zeigen, dass ambulante Patienten von einer hoch dosierten Therapie mit Oxcarbazepin oder Carbamazepin problemlos auf die Retardform umgestellt werden könnten (bei Umstellung von Carbamazepin im Verhältnis 1:1,5). Bei fünf stationären Patienten führte die dosisäquivalente Umstellung von Oxcarbazepin IR auf Oxcarbazepin retard bei gleich bleibenden Plasmaspiegeln bereits nach fünf bis sechs Tagen zu einer Verbesserung in Bezug auf unerwünschte Wirkungen und die Lebensqualität.
Eine klinische Studie zum Nachweis der besseren Verträglichkeit von Oxcarbazepin retard im Vergleich mit Oxcarbazepin IR läuft derzeit.
Quelle
Prof. Dr. med. Christian Elger, Bonn, Dr. rer. nat. Peter Lennartz, Hamburg, Prof. Dr. med. Bernhard J. Steinhoff, Kehl-Kork, Pressekonferenz Apydan® extent, München, 17. April 2008, veranstaltet von Desitin Arzneimittel GmbH.
Psychopharmakotherapie 2008; 15(04)