Diabetische Polyneuropathie

Absteigende Schmerzhemmung stark machen


Reimund Freye, Baden-Baden

Von den mittlerweile 6 Millionen Diabetikern hierzulande entwickeln nach heutigem Forschungsstand rund 30% eine diabetische Polyneuropathie (DPNP), die bei bis zu einer halben Million Menschen mit Schmerzen einhergeht. Um einer Chronifizierung der Schmerzerkrankung vorzubeugen, sollte möglichst frühzeitig interveniert werden.

Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch die affektive Komponente des Schmerzgeschehens. Die Schmerzafferenzen erfahren im Thalamus eine Zweiteilung. Hier wird eine Bahnung in die rein sensorischen Areale des Kortex projiziert, die für die eigentliche Schmerzsensation verantwortlich ist. Die andere Schmerzleitung läuft über das limbische System und den Cingulus in den Frontalkortex. Dieses Areal, zuständig für die affektive Komponente der Schmerzwahrnehmung, vergrößert sich bei ständig wiederholtem Schmerzreiz. Durch diese Schmerzerwartung kommt es zu einer zentralen Verstärkung auch kleinerer Signale aus der Peripherie.

Die DPNP ist immer noch erheblich unterdiagnostiziert. Selbst eine schwere Form wird nur von gut 70% der Endokrinologen erkannt, bei leichten und moderaten Erkrankungen sind es sogar nur ein Drittel richtig diagnostizierter Fälle. Allerdings sind dies amerikanische Zahlen (Herman WH, Kennedy L, Diab Care 2005).

Erschwerend bei der Diagnostik ist die individuelle Ausprägung der Symptome. Die distal-symmetrische PNP ist zwar die häufigste Manifestationsform, aber diese Symptomlokalisation muss nicht zwangsläufig vorliegen. Ebenso sind zwar meist die Füße zuerst betroffen, aber es gibt auch Patienten, bei denen die Symptomatik in den Händen beginnt. Die Einschränkung des Patellar- und Achillessehnen-Reflexes ist wohl oft vorhanden, aber eben nicht immer.

Empfohlen wird, bereits bei der Diagnosestellung Diabetes mellitus den Patienten über die möglichen Schädigungen der kleinen Gefäße zu informieren, also auch über die DPNP, so dass er darauf vorbereitet ist und schon bei anfänglichen Beschwerden eine Rückmeldung geben kann.

Die DPNP hat erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität. Weit über die Hälfte der Patienten klagen über eine substanzielle Beeinträchtigung der Lebensfreude, auch verursacht durch erhebliche Schlafprobleme. Arbeit und Mobilität leiden darunter ebenso wie soziale Aktivitäten. Eine oft zu beobachtende deutlich herabgeminderte Stimmung wiederum wirkt sich auf die Qualität von sozialen Beziehungen aus.

Ein wichtiger Ansatz bei der Behandlung der schmerzhaften DPNP ist die Aktivierung der absteigenden Schmerzhemmung. Denn neuropathische Schmerzen sind mit einer vermehrten Erregbarkeit und einer verminderten Hemmung aufsteigender Schmerzbahnen assoziiert. Die absteigende Schmerzhemmung, im Frontalhirn generiert, kann die aufsteigenden Signale modulieren. Dieses schmerzhemmende System wird durch noradrenerge und serotonerge Transmitter reguliert. Daher kann die gesteigerte Verfügbarkeit von Serotonin und Noradrenalin die Schmerzhemmung zentral fördern.

Schmerzreduktion durch Duloxetin

Das für die Behandlung der DPNP zugelassene Duloxetin (Cymbalta®), ein selektiver Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI), konnte bereits in mehreren Studien seine Effektivität bei der schmerzhaften DPNP unter Beweis stellen. Der duale Wirkungsmechanismus greift ab dem dritten Behandlungstag, an welchem Duloxetin bezüglich einer 30%igen Schmerzreduktion bereits eine signifikante Überlegenheit gegenüber Plazebo erlangt (Pritchett 2007). Durch die Schmerzreduktion in der Nacht, in drei Studien nachgewiesen (Goldstein 2005, Wernicke 2006, Raskin 2005), verbessert sich zudem der erholsame Schlaf. Ebenfalls konnten korrelative Verbesserungen des Wohlbefindens von Patienten, die mit der Schmerzreduktion einhergehen, festgestellt werden (Farar 2006).

Duloxetin kann sowohl in der Dosierung 60 mg/d als auch 2-mal 60 mg/d verabreicht werden. Sollte eine Gabe von 60 mg/d keine Wirkung zeigen, kann durchaus eine Erhöhung auf 120 mg/d versucht werden.

Die häufigste Nebenwirkung ist Übelkeit, die jedoch transienter Natur ist. Weitere – ebenfalls passagere – Nebenwirkungen sind Somnolenz, Schwindel und Kopfschmerz. Diese Nebenwirkungen können jedoch durch vorsichtiges Auftitrieren minimiert werden.

Quelle

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Thomas Tölle, München, Pressegespräch „Therapievorsprung durch Cymbalta®? Daten zur Funktionsverbesserung beim DPNP-Patienten in Physis und Psyche“, veranstaltet von Boehringer Ingelheim und Lilly Deutschland GmbH im Rahmen des Deutschen Schmerz- und Palliativtages, Frankfurt, 6. März 2008.

Psychopharmakotherapie 2008; 15(04)