Diagnostik und Therapie des ersten Anfalls


Eine kurze Synopsis der Leitlinien

Prof. Dr. H. Stefan, Epilepsiezentrum Erlangen, Schwabachanlage 6, 91054 Erlangen, E-Mail: hermann.stefan@uk-erlangen.de

Aktuelle Leitlinien bezüglich der Diagnose und Therapie fokaler und generalisierter Epilepsien werden dargestellt. Ergänzend zur ausführlichen Erhebung der Eigen- und Fremdanamnese sind die Erhebung eines ausführlichen klinisch-neurologischen Befunds sowie eines psychiatrischen Befunds obligat.
Schlüsselwörter: Diagnose, Therapie, Epilepsie, Leitlinien
Psychopharmakotherapie 2008;15:38–9.

Diagnostik und Zusatzdiagnostik

Eine bildgebende Diagnostik des Gehirns mittels Computertomographie oder Kernspintomographie muss durchgeführt werden. Die Präferenz liegt hier eindeutig bei der Kernspintomographie, da sie beispielsweise bei der Darstellung von kortikalen Malformationen oder von hippokampalen Strukturen der Computertomographie weit überlegen ist.

Bei der Durchführung der Kernspintomographie ist auf eine enge Schichtführung im Bereich des vermuteten epileptogenen Fokus zu achten.

Darüber hinaus sollte ein Oberflächen-EEG nach dem 10/20-System angefertigt werden, um nach fokalen oder generalisierten epilepsietypischen Entladungen beziehungsweise dem Auftreten von epileptischen Anfallsmustern zu suchen.

Bei Verdacht auf eine symptomatische Anfallsgenese sind unter Umständen zusätzlich eine Lumbalpunktion zur Liquoranalyse sowie weitere laborchemische Untersuchungen (Blutbild, harnpflichtige Substanzen, Lebertransaminasen, metabolische Untersuchungen, immunologische Untersuchungen, Drogen- und Medikamenten-Screening) notwendig.

Auch nach Tumoren im Rahmen eines paraneoplastischen Syndroms muss unter Umständen gesucht werden.

Eine noch weiterführende Diagnostik inklusive Schlafentzugs-EEG oder 24-Stunden-EEG in Kombination mit Video-EEG-Monitoring, ECD-SPECT-Untersuchung der Gehirnperfusion, neuropsychologischen Testverfahren und psychiatrischer Untersuchung ist in der Regel nach einem ersten epileptischen Anfall nur bei differenzialdiagnostischer Relevanz erforderlich.

Differenzialdiagnostik

Als wichtigste differenzialdiagnostische Erkrankungen sind kardiovaskuläre Synkopen, psychogene/dissoziative Anfälle, transitorische ischämische Attacken sowie im Kindesalter respiratorische Affektkrämpfe und der Pavor nocturnus zu nennen. Seltener können differenzialdiagnostisch ein Narkolepsie-/Kataplexie-Syndrom, eine Migräne oder „drop attacks“ erwogen werden.

Therapieziele

Als primäres Therapieziel wird die Anfallsfreiheit definiert, als weiteres Therapieziel die Vermeidung von beeinträchtigenden Nebenwirkungen durch Medikamente oder operative Behandlung.

Indikation zur Behandlung

Während eine Behandlung mit Antikonvulsiva in der Regel erst nach dem zweiten Anfall durchgeführt wird, falls Hinweise auf das Vorliegen einer chronischen Anfälligkeit für epileptische Anfälle fehlt, kann in Ausnahmebedingungen auch bereits nach dem ersten Anfall mit der Behandlung begonnen werden. Diese Situationen sind in Tabelle 1 exemplarisch zusammengefasst.

Tab. 1. Behandlungsindikationen nach dem ersten Anfall

Anfall bei Verdacht auf idiopathische Epilepsie

Anfall und vermutlich epileptogene zerebrale Läsion (Z.n. Enzephalitis, Schädel-Hirn-Trauma, zerebrale Venenthrombose und Blutung, Gefäßmalformation, Hirntumor etc.)

Anfall und fokale epileptiformen Potenziale im EEG sowie Behandlungswunsch von der Patientin/dem Patienten; erhebliche soziale Konsequenzen, im Falle weiterer Anfälle (Führerscheintauglichkeit, Arbeitsplatz, etc.)

Anfall im höheren Lebensalter (>65 Jahre)

Lebensführung

Beim Auftreten eines oder mehrerer Anfälle muss ergänzend zur medikamentösen Behandlung auch eine Regelung der Lebensführung erfolgen. Hierzu gehören Auslösefaktoren, wie Schlafmangel, aber auch die Vermeidung bestimmter Gefährdungssituationen.

Durchführung der Therapie

Es stehen eine Reihe von älteren und neueren Antikonvulsiva zur Verfügung, die nach individuellen Gesichtspunkten auszuwählen sind. Bei der Erstbehandlung wird in der Regel eine Monotherapie bis zum Sistieren der Anfälle oder Auftreten von Nebenwirkungen durchgeführt. Beim Versagen der ersten Monotherapie kann eine alternative Monotherapie und schließlich Kombinationsbehandlungen erwogen werden. Während für die Monotherapie Carbamazepin, Gabapentin, Lamotrigin, Levetiracetam, Oxcarbazepin, Phenobarbital, Phenytoin, Primidon, Topiramat und Valproinsäure zur Verfügung stehen, kann bei der Kombinationstherapie zusätzlich Levetiracetam (Pregabalin, Tiagabin und Zonisamid) eingesetzt werden. Die Behandlung mit Levetiracetam-Monotherapie und Zonisamid-Kombinationstherapie ist in den bisherigen Leitlinien noch nicht aufgeführt, da die Zulassung erst zwischenzeitlich erfolgte. Beim Versagen der zweiten Therapie sollte eine Zweitmeinung durch eine Spezialeinrichtung erfolgen, damit auch die Diagnose des Epilepsiesyndroms und gegebenenfalls die Indikation zum operativen Vorgehen überprüft werden kann. Ergänzend zu den bereits aufgeführten Antikonvulsiva können Benzodiazepine in der Therapie chronischer Epilepsien gelegentlich eingesetzt werden (z.B. Clobazam), außerdem kann Sultiam angewandt werden. Selten kommen Acetazolamid, Diazepam, Clonazepam, Kaliumbromid, Felbamat, Mesuximid, Vigabatrin in Betracht, falls andere Antikonvulsiva eine unzureichende Wirkung entfalten. Das individuell vorliegende Syndrom, besondere Bedürfnisse des Patienten und Komorbiditätsfaktoren werden dann für die Auswahl des Antikonvulsivums herangezogen. Bezüglich der Dosierungsempfehlungen im Hinblick auf die Eindosierung und die Enddosis sowie die Vor- und Nachteile der einzelnen Antikonvulsiva wird auf die Einsicht der Leitlinien im Web und dgn.leitlinien.org verwiesen. Neben der Festlegung des individuellen Therapieziels wird außerdem angeraten, eine Behandlungsstrategie schriftlich zu fixieren.


Die Leitlinie im Volltext:

Kommission „Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie“, Diener HC et al. (Hrsg.). Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. 3. Aufl. Stuttgart: Georg Thieme Verlag, 2005.

Erstmaliger epileptischer Anfall. pp. 2–7.

Epilepsie im Erwachsenenalter. pp. 8–19. Online unter www.dgn.org

Für die Therapie idiopathischer Epilepsien wird auf Tabelle 2 verwiesen.

Tab. 2. Therapie idiopathischer Epilepsien

Epilepsie

Ersttherapie/Monotherapie

Kombinationstherapie

Autosomal dominant für nächtliche Frontallappenepilepsie (ADNFLE)

Carbamazepin-Monotherapie

Familiäre Temporallappenepilepsie (FTLE)

Carbamazepin-Monotherapie

Idiopathische Epilepsien mit generalisierten Anfällen

Valproinsäure

Absencen als einzige Anfälle

Ethosuximid-Monotherapie
Alternativen: Lamotrigin, Topiramat
Bei Versagen der Ersttherapie von Absencen:
Valproinsäure und Ethosuximid oder
Valproinsäure und Lamotrigin oder
Valproinsäure und Clobazam

Persistenz generalisierter tonisch-klonischer Anfälle

Valproinsäure und Lamotrigin oder
Valproinsäure plus Phenobarbital/Primidon oder
Lamotrigin-Monotherapie

Kombination:
Topiramat oder
Levetiracetam oder
Clobazam

Persistenz myoklonischer Impulsivanfälle

Komedikation mit
Phenobarbital/Primidon oder
Clobazam/Topiramat oder
Levetiracetam

Progressive Myoklonusepilepsie

Piracetam oder Valproinsäure
Bei Versagen: Levetiracetam
Bei Versagen: Zonisamid oder Acetazolamid

Oder Kombination mit
Clobazam, Lamotrigin

Reflexepilepsien

Ersttherapie: Valproinsäure-Monotherapie
Zweittherapie: Clobazam oder Lamotrigin

Bei Versagen jeglicher medikamentöser Behandlungsversuche sollte versucht werden, eine Polytherapie zur Zweifach- oder Monotherapie zu vereinfachen, unter Umständen ist ein Vagusstimulator erfolgreich.

Beilagenhinweis:

Der Abonnentenauflage dieser Ausgabe liegt Psychopharmakotherapie Supplement Nr. 18 und der Gesamtauflage PPT extra Nr. 29 der Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft mbH bei. Wir bitten um Beachtung.

Diagnostics and therapy of the first seizure: a short synopsis of the guidelines

Actual guidelines for diagnosis and treatment of epilepsies are referred.

Keywords: Diagnosis, therapy, epilepsy, guidelines

Psychopharmakotherapie 2008; 15(01)