Delir unter Opipramol


Dominik Dabbert und Martin Heinze, Bremen

Anticholinerge Nebenwirkungen sind unter trizyklischen Antidepressiva gut bekannt. Eine Extremform ist das anticholinerge Delir. Wir berichten über einen Patienten, der unter einer üblichen Dosierung von Opipramol bei langsamer Aufdosierung im ambulanten Rahmen ein Delir entwickelte. Ein 44-jähriger alkohol- und opiatabhängiger Patient mit seit Jahren bestehender Levomethadon-Substitution wurde wegen Angst und Traurigkeit ambulant mit Opipramol behandelt. Nach einer Dosiserhöhung entwickelte der Patient einen zunehmenden Konzentrationsverlust, zeitliche Desorientiertheit, affektive Indifferenz und einen massiv reduzierten Antrieb. Nach Absetzen der Opipramol-Medikation sahen wir innerhalb weniger Tage eine Remission. Alternative Ursachen für das beobachtete klinische Bild wurden ausgeschlossen. Wir gehen von einem pharmakogenen Delir bei vorgeschädigtem Gehirn aus. Es scheint sich um eine unerwünschte Arzneimittelwirkung durch pharmakodynamische und pharmakokinetische Interaktion bei einem Risikopatienten zu handeln.
Schlüsselwörter: Opipramol, Levomethadon, Interaktion, Delir, anticholinerge Wirkung
Psychopharmakotherapie 2008;15:38–9.

Fallbericht

Der 44-jährige Patient wurde erstmals mit Opipramol behandelt, sein Hausarzt hatte ein langsames Einschleichen über 14 Tage mit 50 mg zur Nacht vorgenommen und drei Tage vor der stationären Aufnahme die Dosis verdoppelt. Danach erlebten seine Wohnbetreuer den Patienten als „verändert“, ohne dies genauer beschreiben zu können. Im weiteren Verlauf zeigte er Konfabulationen, was zur Krankenhauseinweisung unter der Verdachtsdiagnose eines Korsakow-Syndroms führte. In der Aufnahmesituation fiel er als massiv affektreduziert, zeitlich unscharf orientiert und konzentrationsgemindert auf. Der formale Gedankengang war stark verlangsamt, die Auffassung und Merkfähigkeit erschienen ebenfalls leicht beeinträchtigt.

Eine akute Intoxikation konnte durch eine toxikologische Urinuntersuchung sowie Ethanol-Bestimmung ausgeschlossen werden, durch Anamnese und Labor war ein Beikonsum anderer Substanzen in den letzten Wochen auszuschließen. Bei der körperlichen Untersuchung ergab sich neben einem reduzierten Allgemeinzustand eine auffällige Mydriasis sowie eine Tachykardie, jedoch ohne Hautrötung oder auffällig trockene Haut.

Im Verlauf des Aufnahmetags entwickelte der Patient noch eine beträchtliche Unruhe, die eine Gabe von Diazepam notwendig machte. Unter Opipramol-Karenz war die beschriebene Symptomatik bereits rückläufig, dennoch erfolgte eine umfangreiche Diagnostik zum Ausschluss anderer organischer Grundlagen. Ein EEG am zweiten Tag nach der Aufnahme erbrachte eine leichtgradige diffuse Hirnfunktionsstörung bei leichtgradig verlangsamter Grundaktivität und diffus intermittierender Theta-Aktivität sowie eine mittelgradige bis schwere regionale Funktionsstörung frontal beiderseits linksbetont mit Ausdehnung nach links temporal. Fünf Tage später konnte im Kontroll-EEG nur noch eine leichte bis mittelgradige regionale Hirnfunktionsstörung fronto-temporal beiderseits gefunden werden, dieses wurde als Befundverbesserung mit Rückgang der langsamen Frequenzen gewertet.

Ein MRT konnte lediglich eine frontale, infratentoriell betonte Atrophie, jedoch keine Läsionen bifrontal oder andere Pathologie zeigen.

Eine Lumbalpunktion zum Ausschluss einer infektiösen Genese wurde vom Patienten abgelehnt, dem es zu diesem Zeitpunkt bereits wieder sehr gut ging. Er konnte am 10. Tag remittiert in sein häusliches Umfeld entlassen werden.

Diskussion

Unter Opipramol sind selten (zwischen 0,01% und 0,1% ) Verwirrtheitszustände und Delirien, insbesondere bei älteren Patienten beschrieben [1]. Unser Patient war zwar erst 44 Jahre alt, es ist jedoch aufgrund seiner MRT-Befunde und EEG-Befunde in Anbetracht seiner Suchterkrankungen von einer organischen Vorschädigung des Gehirns auszugehen. Gegen einen alleinigen Opipramol-Effekt spricht allerdings die langsame Aufsättigung, die der Hausarzt vor der Dosissteigerung auf 100 mg/d durchgeführt hat. Für eine kausale Bedeutung des Opipramols spricht der enge zeitliche Zusammenhang zwischen Dosissteigerung und Symptomatik.

Es ist beschrieben, dass bei Personen mit „poor metabolizer“-Status für Cytochrom P450-2D6 die AUC (area under the curve) nach Opipramol-Einnahme dreifach erhöht sein kann im Vergleich zu Personen mit normaler Enzymaktivität [4]. In Anbetracht dieser Beobachtung und der daraus möglicherweise folgenden Konsequenz für den Patienten wurde eine Genotypisierung für Cytochrom P450-2D6 veranlasst, die jedoch ohne pathologischen Befund blieb. Es lag kein genetischer Hinweis auf eine abnormale Enzymaktivität vor. Leider erfolgte bei der der stationären Aufnahme keine Serumspiegelbestimmung von Opipramol.

Angesichts der Medikamentenkombination aus 45 mg Levomethadon (L-Polamidon®) und 100 mg Opipramol pro Tag muss die Frage nach pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Interaktionen gestellt werden. In der Fachinformation von L-Polamidon® ist von der gegenseitigen Verstärkung der zentralnervösen Wirkung mit trizyklischen Antidepressiva die Rede [2]. In der Literatur ist eine pharmakodynamische Interaktion in Bezug auf die Sedierung beschrieben [5]. In der Fachinformation zu L-Polamidon® sind auch anticholinerge Nebenwirkungen beschrieben.

Für Desipramin, das einen ähnlichen Abbauweg nimmt wie Opipramol, ist unter Methadon-Behandlung eine Verdoppelung des Serumspiegels beschrieben worden [3]. Eine Hemmung von Cytochrom P450-2D6 durch Methadon wurde beschrieben [7]. Die Annahme einer pharmakokinetischen Interaktion in diesem Falle muss jedoch hypothetisch bleiben, da keine Serumspiegelbestimmung von Opipramol erfolgte.

Beide beteiligten Substanzen, sowohl Levomethadon als auch Opipramol, weisen eine anticholinerge Wirkkomponente auf. Es ist bekannt, dass Anticholinergika ein erhöhtes Delir-Risiko bedingen [6]. Eine Addition der beiden anticholinergen Effekte als auslösendes Ereignis für das Delir mit Mydriasis und Tachykardie wäre zu diskutieren.

Literatur

1. Fachinformation Insidon® (Stand: Oktober 2005), Novartis Pharma.

2. Fachinformation L-Polamidon® (Stand: August 2006), Sanofi-Aventis.

3. Maany I, Dhopesh V, Arndt IO, Burke W, et al. Increase in desipramine serum levels associated with methadone treatment. Am J Psychiatry 1989;146:1611–3.

4. Nilsson EB, Rimmele SM, Schmidt EK, Antonin KH, et al. Pharmakokinetik und relative Bioverfügbarkeit von Opipramol aus einem Insidon-Dragee. Fortschr Neurol Psychiatr 1989;66(Sonderheft I/98):S13–6.

5. Schmoldt A. Arzneimittelinteraktionen bei substituierten Heroinabhängigen. Suchttherapie 2004;5:162–6.

6. Tune LE, Egeli S. Acetylcholine and delirium. Dement Geriatr Cogn Disord 1999;10:342–4.

7. Wu D, Otton SV, Sprole BA. Inhibition of human cytochrome P450-2D6 (CYP2D6) by methadone. Br J Clin Pharmacol 1993;95: 30–4.

Dr. med. Dominik Dabbert, Priv.-Doz. Dr. med. Martin Heinze, Klinikum Bremen-Ost, Psychiatrische Behandlungszentren Mitte und West, Züricher Str. 40, 28325 Bremen, E-Mail: dominik.dabbert@klinikum-bremen-ost.de

Case report: Delirium and opipramole

Keywords: Opipramole, levomethadone, interaction, delirium, anticholinergic effect

Psychopharmakotherapie 2008; 15(01)