Antidepressiva

Höheres Suizidrisiko durch Venlafaxin?


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Eine große britische Kohortenstudie ergab eine erhöhte Suizidrate bei depressiven Patienten unter Venlafaxin-Behandlung im Vergleich zu Citalopram, Fluoxetin und Dosulepin. Die Verhältnisse relativierten sich allerdings, wenn weitere Risikofaktoren für Suizidalität berücksichtigt wurden.

Ein buchstäblich lebenwichtiges Ziel der Therapie schwerer Depressionen ist die Verringerung der Suizidalität. Der Einfluss neuer Antidepressiva auf die Suizidneigung ist daher immer wieder Gegenstand eingehender Diskussionen.

Eine amerikanisch-britische Forschergruppe untersuchte nun retrospektiv an einer großen britischen Kohorte die Häufigkeit von Suizidversuchen und vollendeten Suiziden unter der Therapie mit verschiedenen Antidepressiva, nämlich Venlafaxin (Trevilor®), Citalopram (z.B. Cipramil®), Fluoxetin (z.B. Fluctin®) und Dosulepin (Syn. Dothiepin, z.B. Idom®). Citalopram wurde als zweiter selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer neben Fluoxetin berücksichtigt, weil es in Großbritannien im selben Jahr auf den Markt gekommen war wie Venlafaxin und deshalb vermutlich von der Ärzteschaft ähnlich aufgenommen und eingesetzt wurde. Ausgewertet wurden die Daten von 219088 Patienten mit einer Depression oder Angsterkrankung, die im Zeitraum 1995 bis 2005 erstmals für eines dieser Antidepressiva eine Verordnung erhalten hatten.

Nach der Indexverordnung kam es insgesamt zu 3060 Suizidversuchen und zu 54 Suiziden. Die Inzidenzrate lag dabei jeweils für Venlafaxin am höchsten (Tab. 1). Allerdings wiesen die mit Venlafaxin behandelten Patienten mehr Risikofaktoren für Suizidalität auf; ermittelt wurden dabei Alter, Geschlecht, Diagnose (Depression oder Angsterkrankung), vorangegangene Suizidversuche, belastende Lebenserfahrungen, Lebensstilfaktoren, psychische Erkrankungen in der Familie, psychotrope Komedikation und psychiatrische Komorbidität. Wurden diese konfundierenden Variablen berücksichtigt, dann fiel das Überschussrisiko zuungunsten von Venlafaxin deutlich niedriger aus (Tab. 2).

Tab. 1. Inzidenzraten (95%-Konfidenzintervall) für Suizide und Suizidversuche ohne Berücksichtigung konfundierender Variablen

Antidepressivum

Inzidenzrate/1000 Personenjahre

Vollendeter Suizid

Venlafaxin

0,64 (0,40–1,02)

Citalopram

0,26 (0,15–0,46)

Fluoxetin

0,23 (0,14–0,37)

Dosulepin

0,27 (0,14–0,52)

Erster Suizidversuch unter
diesem Antidepressivum

Venlafaxin

26,6 (24,7–28,7)

Citalopram

17,4 (16,3–18,7)

Fluoxetin

17,4 (16,4–18,4)

Dosulepin

13,0 (11,9–14,3)

Tab. 2. Suizide/Suizidversuche unter Antidepressiva: Hazard-Ratios (95%-Konfidenzintervall) für Venlafaxin im Vergleich zu Citalopram, Fluoxetin und Dosulepin ohne und mit Berücksichtigung weiterer Risikofaktoren für Suizidalität

Verglichene Antidepressiva

Nicht adjustiertes
Hazard-Ratio

Adjustiertes Hazard-Ratio

Vollendeter Suizid

Venlafaxin vs. Citalopram

2,56 (1,14–5,77)

1,87 (0,81–4,29)

Venlafaxin vs. Fluoxetin

3,19 (1,46–7,00)

1,87 (0,81–4,32)

Venlafaxin vs. Dosulepin

2,37 (0,98–5,73)

1,27 (0,51–3,18)

Suizidversuch

Venlafaxin vs. Citalopram

1,52 (1,36–1,69)

1,23 (1,10–1,37)

Venlafaxin vs. Fluoxetin

1,68 (1,52–1,87)

1,28 (1,14–1,43)

Venlafaxin vs. Dosulepin

2,38 (2,08–2,72)

1,45 (1,27 –1,67)

Ausgewertet bis 7 Tage nach Ende der gemäß Verordnung berechneten Einnahmedauer.

In Bezug auf vollendeten Suizid ergab sich nun sogar eine untere Grenze des 95%-Konfidenzintervalls <1. Zumindest in Bezug auf den vollendeten Suizid besteht demnach vermutlich kein Zusammenhang mit der Venlafaxin-Behandlung, sondern die erhöhte Inzidenzrate ist eher durch andere Umstände bedingt. Dies umso mehr, als die Autoren vermuten, dass weitere Störvariablen vorgelegen haben können, die unberücksichtigt geblieben sind.

Quelle

Rubino A, et al. Risk of suicide during treatment with venlafaxine, citalopram, fluoxetine, and dothiepin: retrospective cohort study. BMJ 2007;334:242–5.

Psychopharmakotherapie 2007; 14(02)