Dr. Annemarie Musch, Stuttgart
Die generalisierte Angststörung ist insbesondere charakterisiert durch ein „besorgt sein“ der Patienten um alles Mögliche, die Patienten leiden ohne bestimmten Umwelteinfluss an Angst. Entsprechend der ICD-10-Klassifikation begleitet diese Angst die Patienten fast täglich über einen Zeitraum von mehreren Wochen bis Monaten (per Definition ≥6 Monate). Hinzu kommen meist somatische Symptome wie beispielsweise gesteigerte Schmerzempfindlichkeit, Schlafstörungen, Ruhelosigkeit und gastrointestinale Symptome. Weiterhin treten Überlappungen bis hin zu Komorbiditäten mit anderen psychiatrischen Erkrankungen (z.B. Depression, Panikstörung), somatoformen Störungen und Sucht auf.
Die Lebenszeitprävalenz generalisierter Angststörungen liegt in der Bevölkerung bei etwa 5%, wobei Frauen häufiger betroffen sind als Männer. Die Betroffenen leiden unter der fluktuierend, chronisch verlaufenden Erkrankung erheblich durch beispielsweise Einschränkung der Arbeitsfähigkeit, der Lebensqualität.
Mit den bislang zur Verfügung stehenden Arzneistoffen ist eine zufrieden stellende Therapie nur eingeschränkt möglich. Die Remissionswahrscheinlichkeit nach 5 Jahren beträgt 30%.
Eine wichtige Rolle in der Therapie generalisierter Angststörungen spielt neben der Psychotherapie die medikamentöse Therapie mit insbesondere Benzodiazepinen (Diazepam, Alprazolam) und selektiven Serotonin- bzw. Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI/SNRI: Paroxetin, Escitalopram sowie Venlafaxin).
Benzodiazepine wirken rasch anxiolytisch, haben aber den Nachteil, dass sie zum einen zu einer ungewünschten Sedierung der Patienten führen und zum anderen mit dem Risiko einer Gewohnheitsbildung bei den Patienten verbunden sind – das Risiko dieser Niedrigdosisabhängigkeit (keine Dosissteigerung) beträgt bei einer Einnahme über mehr als 4 bis 6 Monate 10 bis 15%. Der Wirkungseintritt bei der Therapie mit SNRI und SSRI erfolgt demgegenüber verzögert nach etwa 2 bis 4 Wochen, zu dem besteht bei rascher Dosissteigerung zu Beginn der Therapie das Risiko, dass die Angst initial zunimmt, was die Therapietreue der Patienten ungünstig beeinflussen kann. Häufige Nebenwirkungen der Therapie sind durch eine (indirekt hervorgerufene) Überstimulierung von 5-HT2- und 5-HT3-Rezeptoren zu erklären (z.B. sexuelle Dysfunktion bzw. Übelkeit und Kopfschmerzen).
Seit März 2006 steht Pregabalin (Lyrica®), das bereits zur Behandlung von Epilepsie und neuropathischem Schmerz zugelassen ist, auch für die Therapie der generalisierten Angststörung zur Verfügung. Allen drei Krankheitsbildern scheint eine Übererregbarkeit des Gehirns zugrunde zu liegen, die durch die Wirkung von Pregabalin gedämpft wird. Pregabalin blockiert neuronale spannungsabhängige Calciumkanäle, indem es an die α2δ-Untereinheit bindet, was dazu führt, dass bei einem am Neuron eintreffenden Signal/Reiz weniger Neurotransmitter freigesetzt wird.
Die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Pregabalin wurde in fünf randomisierten, doppelblinden, Plazebo-kontrollierten Phase-III-Studien mit insgesamt über 2000 Patienten mit generalisierter Angststörung untersucht. Zwei dieser Studien wurden zusätzlich mit einer aktiven Kontrolle durchgeführt.
In einer Studie erhielten die Patienten Pregabalin in einer Dosierung von
300 mg täglich (n=91),
450 mg täglich (n=90) und
600 mg täglich (n=89).
Zwei weitere Gruppen erhielten
das Benzodiazepin Alprazolam (1,5 mg/Tag; n=93) oder
Plazebo (n=91).
Hauptwirksamkeitskriterium war die durchschnittliche Reduktion auf der Hamilton-Angstskala (HAMA; zu Studienbeginn ≥20) über den Studienzeitraum von 4 Wochen im Vergleich zu Plazebo. Als Therapieansprechen wurde eine mindestens 50%ige Reduktion auf der Hamilton-Angstskala definiert.
Die Therapie mit Pregabalin war in allen Dosierungen gleich wirksam wie die Therapie mit Alprazolam (Tab. 1). Beide Behandlungen führten im Vergleich zur Gabe von Plazebo zu einer signifikant größeren Reduktion auf der Hamilton-Angstskala.
Tab. 1. Ergebnisse im Hauptwirksamkeitskriterium – durchschnittliche Reduktion auf der Hamilton-Angstskala über den Studienzeitraum von 4 Wochen – bei Gabe von Pregabalin, Alprazolam oder Plazebo (Last observation carried forward, LOCF) [nach Rickels K, et al. 2005]
Patienten [n] |
Mittelwert |
SD |
Vs. Plazebo |
95%-KI* |
p-Wert* |
|
Pregabalin |
|
|
|
|
|
|
Alprazolam |
|
|
|
|
|
|
Plazebo |
85 |
–8,35 |
0,79 |
k.A. |
k.A. |
k.A. |
k.A.=keine Angabe; 95%-KI=95%-Konfidenzintervall; SD=Standardabweichung *Verum vs. Plazebo HAMA-Ausgangswerte: Pregabalin 300, 450 und 600 mg=25,0±0,4; 24,6±0,4; 25,2±0,4; Alprazolam=24,9±0,4; Plazebo=24,6±0,4
Weiterhin zeigte sich eine signifikante Verbesserung im Vergleich zu Plazebo bereits nach einer Woche. Auffallend war eine verglichen mit Plazebo signifikante Reduktion somatischer Beschwerden – ebenfalls zu diesem frühen Zeitpunkt – bei der Gabe von Pregabalin (300 und 600 mg), nicht aber bei der Therapie mit Alprazolam. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Benommenheit und Schläfrigkeit (Tab. 2). Studienabbrüche aufgrund von Nebenwirkungen waren in den Behandlungsgruppen gleich häufig: 3%, 8% und 15% der Patienten, die Pregabalin in einer Dosierung von 300, 450 und 600 mg erhielten, sowie 14% der Patienten der Alprazolam- und 10% der Patienten der Plazebo-Gruppe brachen die Therapie ab (p>0,20).
Tab. 2. Häufigste Nebenwirkungen bei der Therapie mit Pregabalin, Alprazolam oder Plazebo [nach Rickels K, et al. 2005]
Nebenwirkung |
Pregabalin |
Pregabalin |
Pregabalin |
Alprazolam 1,5 mg/d (n=93) |
Plazebo (n=91) |
Schläfrigkeit |
35 |
36 |
37 |
42 |
15 |
Benommenheit |
37 |
34 |
35 |
15 |
9 |
Mundtrockenheit |
18 |
16 |
21 |
4 |
8 |
Koordinationsstörungen |
4 |
11 |
15 |
3 |
0 |
Infektion |
10 |
14 |
15 |
8 |
9 |
Übelkeit |
10 |
13 |
10 |
9 |
10 |
Sehstörungen |
8 |
10 |
8 |
4 |
3 |
Asthenie |
7 |
10 |
7 |
13 |
2 |
Obstipation |
2 |
12 |
3 |
3 |
5 |
Im Vergleich zur Therapie mit dem SNRI Venlafaxin (75 mg/Tag) zeigte sich bei insgesamt vergleichbarer Wirksamkeit ein Wirkungsvorteil zu Studienbeginn: Nach einer Woche war die durchschnittliche Reduktion auf der HAMA im Vergleich zum Ausgangswert bei Patienten, die Pregabalin in einer Dosierung von 400 oder 600 mg täglich erhielten, signifikant größer als bei Patienten der Venlafaxin- oder Plazebo-Gruppe (p<0,05). In einer Rezidivprophylaxe-Studie konnte gezeigt werden, dass die Therapie mit Pregabalin verglichen mit der Gabe von Plazebo das Rezidivrisiko bei den Patienten statistisch signifikant, klinisch relevant reduziert.
Fazit
Viel versprechend ist die rasch nachweisbare Wirkung und die gute Verträglichkeit. Für die häufigsten Nebenwirkungen Benommenheit und Schläfrigkeit konnte gezeigt werden, dass sie reversibel sind und im Median nach maximal 15 und 24 Tagen abklingen. Im Vergleich zu den Benzodiazepinen besteht kein Abhängigkeitspotenzial, auch die kognitiven Fähigkeiten scheinen nicht beeinflusst zu werden. Gefürchtete Nebenwirkungen bei der Therapie mit SNRI/SSRI wie Unruhe, Angst und sexuelle Dysfunktion wurden bei der Therapie mit Pregabalin nicht beobachtet. Eine effektive Dosis ist 300 mg Pregabalin täglich verteilt auf zwei bis drei Einzelgaben, wobei eine Dosissteigerung bis zu maximal 600 mg täglich möglich ist.
Quellen
Prof. Dr. Hans-Jürgen Möller, München, Prof. Dr. Hans-Peter Volz, Werneck, Prof. Dr. Thomas R. Tölle, München. Pressekonferenz „Neue Behandlungsoption in der GAD – Zulassungserweiterung für Pregabalin“, Frankfurt/Main, 23. Juni 2006, veranstaltet von Pfizer.
Rickels K, et al. Pregabalin for treatment of generalized anxiety disorder: a 4-week, multicenter, double-blind, placebo-controlled trial of pregabalin and alprazolam. Arch Gen Psychiatry 2005;62:1022–30.
Psychopharmakotherapie 2006; 13(05)