Dietrich Kölsch, Königsbronn
Eine 30-jährige Lehrerin war im August 2005 erstmals an einer Depression (schwere depressive Störung F32.2 nach ICD-10) erkrankt. Die Symptomatik umfasste Anhedonie, Niedergestimmtheit, Antriebs- und Konzentrationsstörungen sowie eine erhebliche Suizidalität. Aufgrund der Suizidalität erfolgte die stationäre Aufnahme in einer psychiatrischen Fachklinik. Im Rahmen einer viermonatigen stationären Behandlung wurde die Patientin schließlich auf eine Kombinationsbehandlung mit 225 mg/d Amitriptylin, 20 mg/d Paroxetin sowie 900 mg/d Valproinsäure eingestellt und nach leichter Besserung der depressiven Symptomatik entlassen. Die Behandlung mit Valproinsäure erfolgte wohl unter dem Verdacht eines möglichen bipolaren Krankheitsverlaufs.
Patienten und Methoden
Die Patientin zeigte auch weiterhin eine ausgeprägte depressive Symptomatik mit erheblichen Stimmungsschwankungen. Sie konnte weiterhin ihren Beruf als Lehrerin nicht ausüben, ihre Beziehung zerbrach an der fortdauernden depressiven Erkrankung. Da sie sich allein nicht mehr versorgen konnte, zog die Patientin zurück zu ihren Eltern.
Bei der Erstexploration in meiner Praxis wirkte die Patientin ausgesprochen niedergestimmt, sie wirkte leicht ratlos mit ausgeprägten Störungen von Merkfähigkeit und Konzentration. Da sich auch anamnestisch keine Hinweise auf eine bipolare Erkrankung fanden, wurde Valproinsäure ausschleichend abgesetzt. Bereits nach einer Reduktion um 150 mg erlitt die Patientin einen epileptischen Grand-Mal-Anfall. Anhaltspunkte für ein aktuelles oder abgelaufenes Anfallsleiden in der Anamnese fanden sich nicht, ebenso wenig Hinweise auf ein abgelaufenes Schädel-Hirn-Trauma oder eine sonstige neurologische Erkrankung.
Ergebnisse
Zur Klärung der Anfallsursache veranlasste ich eine Untersuchung der relevanten Medikamentenspiegel im Plasma: Die Plasmaspiegel von Paroxetin und Valproinsäure lagen im therapeutischen Bereich (Paroxetin) beziehungsweise leicht darunter (Valproinsäure). Der Amitriptylin-Spiegel lag bei 235 ng/ml (therapeutischer Bereich [NW] 70–200 ng/ml), der Spiegel des ebenfalls antidepressiv wirkenden Amitriptylin-Metaboliten Nortriptylin bei 515 ng/ml (NW 70–170 ng/ml) bereits im toxischen Bereich (>500 ng/ml). Da beide trizyklischen Substanzen synergistisch prokonvulsiv wirken, ist hier die Summe der Plasmaspiegel zu berücksichtigen, so dass hier eindeutig toxische Werte erreicht werden.
Diskussion
Die verabreichten psychotropen Medikamente werden alle über die Leber und dort über das Cytochrom-P450-(CYP-)System verstoffwechselt. Amitriptylin zeigt hierbei einen ausgeprägt breiten Stoffwechselweg sowohl über CYP2C9, 2C19, 2D6 als auch über das sehr robuste und nur schwer hemmbare Isoenzym 3A3/4. Anders verhält es sich jedoch mit Nortriptylin, dem Metaboliten von Amitriptylin. Nortriptylin wird ebenso wie Paroxetin überwiegend über das Isoenzym CYP2D6 abgebaut, wobei Paroxetin nicht nur Substrat, sondern auch Inhibitor dieses Isoenzyms ist. Weiterhin besteht für das Isoenzym CYP2D6 ein ausgeprägter genetischer Polymorphismus: 7 bis 10% der mitteleuropäischen Bevölkerung sind so genannte „poor metabolizer“ mit einer verringerten Aktivität dieses Enzyms. Leider war eine entsprechende laborchemische Bestimmung der Enzymaktivität des Isoenzyms CYP2D6 bei der Patientin noch nicht möglich.
Aus den vorliegenden Daten lässt sich zusammenfassend schließen, dass bei der betroffenen Patientin durch die Gabe von Paroxetin eine Hemmung des Cytochrom-P450-Isoenzyms CYP2D6 eintrat, wodurch der Abbau von Amitriptylin und seinem Metaboliten Nortriptylin verzögert wurde. Der Anstieg von Nortriptylin war dabei stärker, da Nortriptylin überwiegend durch CYP2D6 metabolisiert wird, während Amitriptylin auch durch andere CYP-Isoenzyme abgebaut werden kann. Es kam zu einer Kumulation von Amitriptylin und Nortriptylin im Körper der Patientin mit den entsprechenden unerwünschten Auswirkungen. Das Auftreten von zerebralen Krampfanfällen bei Überdosierung von trizyklischen Antidepressiva ist aus der einschlägigen Literatur bekannt.
Aufgrund der bestehenden schweren depressiven Symptomatik wurde Amitriptylin nicht sofort abgesetzt. Stattdessen wurde Paroxetin durch Escitalopram ersetzt, dessen Dosis stufenweise auf 30 mg/d eingestellt wurde. Danach wurde die Gabe von Amitriptylin ausschleichend beendet.
Die Arzneistoffspiegel im Serum wurden kontrolliert; nach Normalisierung des Nortriptylin-Spiegels wurde die Valproinsäure-Gabe ebenfalls ausschleichend beendet, da bei einer unipolaren Depression keine Indikation für dieses Medikament bestand. Bei langsam eintretender Besserung des psychischen Zustands der Patientin wurde zusätzlich einschleichend Reboxetin bis zu einer Dosis von 8 mg/d verabreicht. Hierunter konnte eine komplette Remission erreicht werden. Die Patientin war innerhalb von drei Monaten wieder arbeitsfähig.
Literatur
1. Avoni P, et al. Recurrence of absence seizures induced by a low dose of amitriptyline: a case report. Eur J Neurol 1996;3:272–4.
2. Baumann P, et al. The AGNP-TDM Expert Group Consensus Guidelines: Therapeutic Drug Monitoring in Psychiatry. Pharmacopsychiatry 2004;37:243–65.
3. Benkert O, Hippius H. Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie. 4. Aufl. Berlin, Heidelberg, New York: Springer Verlag, 2003.
4. Ellison DW, Pentel PR. Clinical features and consequences of seizures due to cyclic antidepressant overdose. Am J Emerg Med 1989;7:5–10.
5. Kaplan HI, Sadock BJ. Synopsis of Psychiatry. 9th Edition. Lippincott: Williams and Wilkins, 2003.
6. Leucht S, et al. Effect of adjunctive paroxetine on serum levels and side effects of tricyclic antidepressants in depressive inpatients. Psychopharmacology 2000;147:378–83.6.
7. Preskorn SH, Fast GA. Tricyclic antidepressant-induced seizures and plasma drug concentration. J Clin Psychiatry 1992;53:160–2.
8. Rosenstein DL, et al. Seizures associated with antidepressants: A review. J Clin Psychiatry 1993;54:289–99.
9. Spigset O, et al. Seizures and myoclonus associated with antidepressant treatment: assessment of potential risk factors, including CYP2D6 and CYP2C19 polymorphisms, and treatment with CYP2D6 inhibitors. Acta Psychiatr Scand 1997;96:379–84.
Dr. med. Dietrich Kölsch, Facharzt für Allgemeinmedizin, Facharzt für Psychiatrie u. Psychotherapie, Geriatrie, Suchtmedizin, Flachsbergstr. 2, 89551 Königsbronn, E-Mail: dietrich.koelsch@web.de
Grand-mal seizure in a combined amitriptyline and paroxetine treatment
A thirty year old female patient was treated with a combined drug therapy of amtriptyline, paroxetine and valproic acid in the course of severe depression. Improvements of the depressive symptoms but no remission were achieved under this regime. A reduction of valproic acid was followed by a grand mal seizure. The control of drug plasma levels showed normal results for paroxetine and valproic acid, slightly elevated levels for amitriptyline, but severely elevated levels for nortriptyline, a metabolite of amitriptyline. The medication was therefore changed; the above mentioned drugs were replaced by escitalopram and reboxetine. The result was a complete remission of depressive symptoms in the patient and there occurred no further drug-induced side-effects.
The explanation for the observed side effects lies in the competitive inhibition of drug metabolism between nortriptyline and paroxetine in the liver, since both substances are metabolized by the same isoenzyme of the cytochrome P450 system. In addition, there is a genetic polymorphism known for the responsible cytochrome isoenzyme 2D6. About 7 to 10 percent of the middle European population are poor metabolizers with reduced activity of the CYP2D6 isoenzyme. In accordance with this example the risks of combined antidepressive treatment, including tricyclic antidepressants, shall be discussed.
Keywords: Amitriptyline, paroxetine, depression, intoxication
Psychopharmakotherapie 2006; 13(05)