Schizophrenie

Geburt während Hungersnot erhöht das Risiko


Dr. Barbara Kreutzkamp, München

Eine Hungersnot zum Zeitpunkt der Konzeption und Geburt ist mit einem zweifach erhöhten Risiko für die Entwicklung einer Schizophrenie in späteren Lebensjahren assoziiert. Dieser zunächst an einem kleinen Kollektiv gefundene Zusammenhang wurde jetzt durch die Auswertung einer großen chinesischen Bevölkerungskohorte bestätigt.

Schizophrenie ist eine zu etwa 85% erblich bedingte Erkrankung, bei deren phänotypischer Entwicklung in der Regel Umweltfaktoren hinzukommen. Weltweit beträgt das Lebenszeitrisiko für eine Schizophrenie 1%. Pathophysiologisch wird die Schizophrenie heute als eine Störung in den frühen Phasen der Gehirnentwicklung angesehen. Als auslösende Faktoren gelten unter anderem eine pränatale Influenza-Exposition, Geburtskomplikationen, der Geburtsmonat sowie starker Stress und Nahrungsmangel.

Nahrungsmangel in der pränatalen Entwicklung könnte den Ausbruch einer Schizophrenie bei prädisponierten Personen begünstigen, könnte aber auch die Erkrankung ohne Vorliegen eines genetischen Risikos im späteren Leben auslösen. Die bisher wichtigste „klinische“ Quelle für eine entsprechende Hypothese waren Studien zum „holländischen Hungerwinter“ 1944 bis 1945, in dem sich plötzlich ein extremer Nahrungsmangel über einen überschaubaren Zeitraum einstellte. Kinder, die in dieser Zeit gezeugt wurden und deren Mütter extrem unterernährt waren, hatten ein zweifach erhöhtes Risiko, später eine Schizophrenie zu entwickeln. Allerdings war die Gesamtfallzahl sehr klein. Eine wertvolle Ergänzung zum Thema Hunger und Schizophrenie liefert jetzt eine Erhebung bei Kindern, die zum Zeitpunkt der großen chinesischen Hungersnot 1959 bis 1961 gezeugt und geboren wurden. Dabei konnte auf erstaunlich gut geführte und erhaltene Geburts- und Sterberegister der Region Wuhu in der Provinz Anhui, einer der am schlimmsten betroffenen Regionen, zurückgegriffen werden. In der Region leben 3 Millionen Menschen. Die Region wird von einem großen psychiatrischen Krankenhaus versorgt. Dessen Krankenakten aus den Jahren 1971 bis 2001 wurden durchgesehen und klinische und soziodemographische Angaben von Patienten mit einer Schizophrenie entnommen. Außerdem konnte auf ein 1988 zum Zweck der Geburtenkontrolle angelegtes Register zurückgegriffen werden. Diese beiden unabhängigen Quellen wurden verwendet, um das Mortalitäts-adjustierte Risiko für eine Schizophrenie für Personen zu ermitteln, die während der Hungerperiode 1959 bis 1961 geboren worden waren.

Während der Hungersnot fiel die Geburtenrate um 80%. Kinder, die während dieser Hungerszeit geboren wurden, hatten ein signifikant erhöhtes adjustiertes Risiko, später an einer Schizophrenie zu erkranken. Das Risiko stieg von 0,84% für 1959 Geborene auf 2,15% für 1960 Geborene und auf 1,81% für 1961 Geborene.

Das Mortalitäts-adjustierte relative Risiko betrug 2,30 für den Jahrgang 1960 und 1,93 für den Jahrgang 1961.

Diskussion und Fazit

Mit diesen Ergebnissen wurde der bereits anhand der Daten des „holländischen Hungerwinters“ gefundene Zusammenhang zwischen einem etwa zweifach erhöhten Schizophrenie-Risiko bei einer herrschenden Hungersnot zum Zeitpunkt der Empfängnis oder Geburt an einem großen Kollektiv und einer anderen Ethnie nachgewiesen.

Da die Risikoerhöhung noch nicht für die zu Beginn der Hungersnot geborenen Kinder galt, dürfte ein Nahrungsmangel der Mutter während der frühen pränatalen Entwicklungsperioden der kritische Faktor sein. Die Ernährungslage war in allen Bevölkerungsschichten schlecht, allerdings fehlen Angaben über zusätzliche belastende Faktoren wie Epidemien oder der Verzehr von Baumrinden und Ähnlichem, was eventuell zusätzlich schädigend gewirkt haben könnte. Doch bestätigen die Ergebnisse, dass der Schizophrenie eine Störung der normalerweise fein ausregulierten Schritte bei der Gehirnentwicklung zugrunde liegt und dass durch extremen Stress der Mutter Abweichungen von den Entwicklungsmustern nicht mehr ausgeglichen werden können.

Und noch eine interessante Hypothese fügen die chinesischen Autoren hinzu: Möglicherweise sind Trägerinnen mit Risikoallelen für Schizophrenie während Hungers- (oder Stress-)Zeiten empfänglicher für eine Konzeption, Implantation und Kindsaustragung als Frauen ohne solche Gene. Da es in der Geschichte der Menschheit immer wieder Hungersnöte gegeben hat, könnten sich die „Schizophrenie-Gene“ in solchen Zeiten als leichter Selektionsvorteil erwiesen haben und so das Vorkommen von Schizophrenie in allen Gegenden und Gesellschaften der Welt erklären.

Quelle

Clair DS, et al. Rates of adult schizophrenia following prenatal exposure to the Chinese famine of 1959–1961. JAMA 2005;294:557–62.

Psychopharmakotherapie 2006; 13(02)