Neue Antipsychotika nicht besser als die klassischen Neuroleptika?


Die problematische Antwort der amerikanischen CATIE-Studie

Hans-Jürgen Möller, München

Die in den USA durchgeführte, im September veröffentlichte CATIE-Studie [1] hat nur für das atypische Neuroleptikum Olanzapin, nicht aber für andere atypische Neuroleptika (Risperidon, Quetiapin und Ziprasidon) Überlegenheit gegenüber dem klassischen Neuroleptikum Perphenazin gezeigt.

Die Ergebnisse dieser Studie wurden in der Laienpresse sehr intensiv aufgegriffen, sowohl in Deutschland wie fast in aller Welt. Verständlicherweise konnten dabei die besonderen methodischen Schwierigkeiten und Fallstricke dieser Studie nicht gewürdigt werden, sondern es wurde relativ pauschal die Schlussfolgerung gezogen, dass neue Medikamente zur Schizophreniebehandlung nicht den seit 50 Jahren bewährten Medikamenten überlegen sind und dass sie obendrein viel teurer sind. Insbesondere die das Gesamtproblem vereinfachende Berichterstattung in der Laienpresse hat zu großer Verunsicherung bei den betroffenen Patienten und Ärzten geführt.

Zu befürchten ist auch, dass Krankenkassen und andere mit dem Gesundheitssystem befasste Institutionen aus dieser Studie falsche Schlussfolgerungen ziehen, ohne die methodischen Detailprobleme dieser Studie zu berücksichtigen. Dies könnte zu einer Einengung der Verschreibungsmöglichkeiten beziehungsweise Erstattungsmöglichkeiten der neuen/atypischen Antipsychotika führen, obwohl wichtige nationale und internationale Leitlinien zur medikamentösen Behandlung der schizophrenen Psychosen ausdrücklich die Vorrangstellung der neueren Medikamente, die sich aus einer Vielzahl von kontrollierten klinischen Studien ergibt, darlegen. Die neuen/atypischen Neuroleptika haben nicht nur den Vorteil, dass sie im Vergleich zu klassischen/typischen Neuroleptika weitgehend frei von unerwünschten extrapyramidal-motorischen Begleitwirkungen sind (dies ist das zentrale Definitionskriterium der atypischen Neuroleptika), sondern dass sie auch ein breiteres Wirkungsspektrum haben im Hinblick auf eine Reihe von Symptombereichen (z.B. Negativsymptomatik, depressive Symptomatik, kognitive Störungen im Rahmen schizophrener Psychosen), die von den klassischen Neuroleptika nur geringgradig beeinflusst werden.

Um den zu befürchtenden gesundheitspolitischen Konsequenzen aus der breiten Diskussion der CATIE-Studie in der Öffentlichkeit entgegenzuwirken, ist es wichtig, die CATIE-Studie insbesondere unter Berücksichtigung der methodischen Probleme zu diskutieren und ihre Ergebnisse zu relativieren. Angesichts der methodischen Fehler dieser Studie wird man dann zu dem Schluss kommen, dass die so aufwändige und teure Studie mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt.

Die CATIE-Studie ist sicherlich eine sehr bedeutsame Studie, wenn man unter anderem die hohe erreichte Fallzahl und das komplexe Design mit mehreren parallelen Behandlungsarmen und die 18-monatige Behandlungsdauer berücksichtigt, ganz besonders aber auch wegen des öffentlichen Interesses, das sie bereits jetzt erzeugt hat. Zweifelsohne ist auch der Erstautor ein besonders bekannter Forscher im Bereich der schizophrenen Erkrankungen und der Antipsychotikatherapie. Die Tatsache, dass die Studie einen öffentlichen Förderer hat – das NIMH – und sicherlich Riesensummen gekostet hat, unterstreicht noch mehr die schon primär zu erwartende Relevanz der Studie.

Umso mehr ist man enttäuscht von den sehr globalen und obendrein fragwürdigen Resultaten der Studie, die primär als so genannte „effectiveness“-Studie angelegt worden ist, also eine Studie, die die Bewährung von Medikamenten in der „alltäglichen Praxis“, jenseits der selektiven Rahmenbedingungen von klassischen Phase-III-Studien, analysieren soll. Ob dafür der gewählte primäre Outcomeparameter „discontinuation“ (Behandlungsabbruch) ein ausreichend sinnvolles Maß ist, sei von vornherein hinterfragt. In dieses Maß gehen unter anderem Wirksamkeit im engeren Sinne („efficacy“) als auch Verträglichkeit und Sicherheit („safety“) ein. Dabei können unterschiedliche Aspekte der Verträglichkeit und Sicherheit einzelner Neuroleptika zu unterschiedlichen Konsequenzen führen, je nach der Detailcharakteristik der Verträglichkeitsprobleme. So kann man a priori annehmen, dass eine schwere extrapyramidal-motorische Symptomatik, die gleich am Anfang auftritt, zu einem frühen Drop-out führt, während eine sich langsam entwickelnde Gewichtszunahme eher zu einem späten Drop-out führt und eine tardive Dyskinesie oder eine metabolische Störung ohne nennenswerte Gewichtszunahme erst nach Jahren einen Drop-out auslöst. Dies führt zu der Problematik, dass ein so grobes Maß wie „discontinuation“ (bzw. das zusätzlich verwendete Maß „Zeit bis zur ,discontinuation‘“) notwendigerweise zu einer Verzerrung im Hinblick auf die einzelnen geprüften Neuroleptika führen muss.

Abgesehen von diesen mit der gewählten primären Zielvariable im Zusammenhang stehenden Detailproblemen und den dadurch bedingten Verzerrungen im Hinblick auf die einzelnen untersuchten Neuroleptika sei grundsätzlich betont, dass nicht Abbruchraten („discontinuation“) beziehungsweise deren Vermeidung im Hauptfokus der Therapie von Patienten, die an einer schizophrenen Erkrankung leiden, stehen. Ziel der Therapie ist vielmehr eine symptomatische Besserung – einschließlich kognitiver Störung und Lebensqualität, die in der Studie nicht erfasst wurden – bei Vermeiden motorischer Nebenwirkungen, insbesondere von Spätdyskinesien, die unter atypischen Neuroleptika seltener sind. Entscheidender als die globale Frage, ob ein Medikament wirksamer und/oder verträglicher als andere ist, ist für den Arzt und den Patienten die individualisierte Therapieanpassung. Voraussetzung dafür ist, dass mehrere Medikamente zur Verfügung stehen, unter denen man dann für den einzelnen Patienten das optimale Medikament auswählen kann.

Zu bedenken ist auch, dass die CATIE-Studie keine Akutbehandlungsstudie war, die dann in eine Erhaltungstherapie-(„maintenance“-)Studie überführt wurde, sondern dass die Patienten von vornherein unter eher stabilen psychopathologischen Bedingungen in die Studie aufgenommen worden sind, dass es sich also primär um eine Art Erhaltungstherapiestudie handelt. Die letzte akute psychotische Episode lag im Schnitt drei Monate zurück. Unter Erhaltungstherapiebedingungen ist es viel schwieriger, Unterschiede zwischen Neuroleptika herauszuarbeiten, als unter Akuttherapiebedingungen. So kann unter Erhaltungstherapie-Studienbedingungen auch ein weniger wirksames Präparat vorübergehend „gute Wirksamkeit“ zeigen, wissen wir doch, dass selbst bei Umsetzen stabilisierter und insbesondere remittierter Patienten von einem Neuroleptikum auf ein Plazebo Rezidive größtenteils erst nach Monaten auftreten.

Erstaunlich ist die außerordentlich hohe Abbruchquote von durchschnittlich 74 % in 18 Monaten. Dies mag an schlechten allgemeinen Betreuungsbedingungen liegen, möglicherweise trugen aber auch ungeschickte medikamentöse Umstellungspraktiken dazu bei. Es ist ja bemerkenswert, dass ein Großteil der Patienten bereits in den ersten Monaten der Studie die Behandlung abgebrochen hat. Dieser erhebliche Teil von Frühabbrechern könnte für die einzelnen untersuchten Neuroleptika von unterschiedlicher Relevanz sein. So ist es zum Beispiel in der Regel komplikationsärmer, von einem nicht-sedierenden Neuroleptikum auf ein sedierendes umzusetzen, als umgekehrt.

Mit einem fairen Untersuchungsansatz unvereinbar ist, dass ein Medikament (Olanzapin) mit bis zu 30 mg/Tag deutlich jenseits der zugelassenen und empfohlenen Tagesdosierung angewandt werden konnte, während alle anderen Neuroleptika im Rahmen der zugelassenen Dosierung angewandt wurden, wobei Perphenazin offenbar ein eher niedrigerer Dosierungsrahmen als üblich zugewiesen wurde. Die höhere Dosierungsmöglichkeit von Olanzapin, die in einer täglichen Durchschnittsdosierung von 20 mg resultierte, könnte die Ursache für die gefundene bessere „effectiveness“ (im Sinne geringerer Abbruchquote durch bessere Wirksamkeit) von Olanzapin sein. Dass Olanzapin trotz dieser hohen Dosierung, trotz Gewichtszunahme und Veränderung metabolischer Parameter bei der Drop-out-Quote insgesamt so günstig abschneidet, zeigt, dass dieses Neuroleptikum offensichtlich eine große allgemeine Verträglichkeitsmarge hat und dass die unerwünschten Begleitwirkungen wie Gewichtszunahme erst mit erheblicher Verzögerung zum Drop-out führen.

Das entscheidende Problem der Studie ist, dass – trotz randomisierter Zuordnung der Patienten – aus der Perphenazin-Gruppe alle Patienten, die bereits zu Beginn der Studie eine tardive Dyskinesie zeigten, ausgeschlossen wurden. Dies war, wie aus dem Vergleich der Fallzahlen in den einzelnen Behandlungsarmen erkennbar ist, eine relativ große Zahl von etwa 80 Patienten. Ein solches Vorgehen, das einen Behandlungsarm bevorzugt und damit automatisch die anderen Behandlungsarme benachteiligt, ist natürlich ein gravierender methodischer Fehler. Es fällt schwer zu verstehen, warum dieser Designfehler übersehen oder gar wissentlich akzeptiert wurde. Auch das möglicherweise erklärende Argument, man könne doch Patienten mit tardiver Dyskinesie nicht mit einem klassischen Neuroleptikum behandeln (und sie damit noch weiter schädigen …), führt aus dem methodischen Dilemma nicht heraus, weil man damit in zirkulärer Argumentationsweise unterstellt, dass man eigentlich schon weiß, dass Perphenazin (ähnlich wie andere klassische Neuroleptika) ein stärkeres Risiko für die Auslösung extrapyramidaler und damit auch tardivdyskinetischer Störungen hat als die Neuroleptika der zweiten Generation. Es wurde aber gerade Perphenazin aus der Gruppe der klassischen Neuroleptika gewählt mit dem Argument, dass es diesbezüglich weniger risikoreich sei und überhaupt eher ein günstigeres klinisches Profil in der Gruppe der klassischen Neuroleptika hat, das möglicherweise denen der „Atypika“ ähnelt.

Es ist bekannt, dass tardive Dyskinesien sehr stark mit dem allgemeinen Risiko für EPMS korreliert sind und dass auftretende Frühdyskinesien oder Parkinsonoide ein sehr guter Prädiktor für später auftretende tardive Dyskinesien sind. Wenn man in einer randomisierten Kontrollgruppenstudie aus einem Behandlungsarm diese Risikopatienten herausnimmt, sie aber in den anderen Gruppen belässt, dann führt ein derart verzerrtes Design zu der Konsequenz, dass die eigentlichen Vorteile der Atypika im Vergleich zu den Typika nicht mehr herausgearbeitet werden können. Bekanntermaßen liegt ja gerade der Hauptvorteil der „atypischen Neuroleptika“ in der besseren extrapyramidal-motorischen Verträglichkeit. Dass trotzdem in der Studie noch ein diesbezüglicher gewisser Vorteil für die Atypika im Vergleich zu Perphenazin herauskommt (der natürlich auf Grund der dargestellten methodischen Mängel völlig unterschätzt wird), ist fast wider Erwarten.

Die CATIE-Studie hat leider viel zu viel Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit, insbesondere in der öffentlichen Laienpresse erfahren und wird dort dargestellt in dem Sinne, dass die Studie zeige, dass Neuroleptika der zweiten Generation größtenteils nicht besser (aber viel teurer!) als Neuroleptika der ersten Generation sind. Diese Schlussfolgerung ist, wie dargelegt, wegen prinzipieller methodischer Fehler nicht zulässig. Die Chance, die aus zahlreichen doppelblinden randomisierten Phase-III-Studien bekannten Vorteile der Atypika in einem breit angelegten „effectiveness“-Studienansatz im Vergleich zu einem Vertreter aus der Gruppe der klassischen Neuroleptika zu prüfen, wurde leider wegen schwerer methodischer Fehler vertan.

Literatur

1. Lieberman J, Stroup TS, McEvoy JP, Swartz MS, et al; Clinical Antipsychotic Trials of Intervention Effectiveness (CATIE) Investigators. Effectiveness of antipsychotic drugs in patients with chronic schizophrenia. N Engl J Med 2005;353:1209–23.

Prof. Dr. med. Hans-Jürgen Möller, Psychiatrische Klinik und Poliklinik der Universität, Nussbaumstr. 7, 80336 München, E-Mail: Hans-Juergen.Moeller@med.uni-muenchen.de

Psychopharmakotherapie 2005; 12(06)