Neurotraumatologie

Glucocorticoide bei schwerem Schädelhirntrauma unwirksam


Prof. Dr. med. Hans Christoph Diener, Essen

Methylprednisolon führte bei der Behandlung des mittelschweren bis schweren Schädelhirntraumas zu einer Erhöhung der Sterblichkeit von Patienten.

Schädelhirntraumen sind eine der häufigsten Ursachen für Tod und permanente Behinderung bei jüngeren Menschen. Seit mehr als 30 Jahren werden in der Intensivmedizin bei der Behandlung von Schädelhirntraumen Glucocorticoide eingesetzt. Diese Vorgehensweise stützt sich auf ein pathophysiologisches Konzept, demzufolge Glucocorticoide in der Lage sind, das Hirnödem positiv zu beeinflussen und damit den Hirndruck zu senken.

Bislang publizierte randomisierte Studien wurden meist mit relativ kleinen Patientengruppen durchgeführt.

Für eine systematische Analyse wurden nun 20000 Patienten mit Schädelhirntraumen in eine große internationale randomisierte Plazebo-kontrollierte Studie aufgenommen, um die Wirkung von Glucocorticoiden bei dieser Indikation zu untersuchen. In diese Studie wurden Patienten (>16 Jahre) innerhalb von 8 Stunden nach dem Unfallereignis eingeschlossen. Das Einschlusskriterium hierbei war ein Wert auf der Glasgow Coma Scale (GCS) von 14 oder weniger.

Die Patienten wurden initial mit 2 g Methylprednisolon (z.B. Urbason®) und anschließend mit einer Methylprednisolon-Erhaltungsdosis von 0,4 g/Stunde über einen Zeitraum von 48 Stunden behandelt oder sie erhielten Plazebo.

Als primäre Studienendpunkte wurden Tod innerhalb von 2 Wochen und Tod oder permanente Behinderung nach 6 Monaten definiert. Der Behinderungsgrad wurde mit einem speziell entwickelten Fragebogen ermittelt.

In die Studie konnten letztendlich 10008 Patienten aus 239 Krankenhäusern in 49 Ländern eingeschlossen werden. Nach 2 Wochen konnten die Daten von 99,6% der Patienten ausgewertet werden. Das mittlere Alter der Patienten betrug 37 Jahre. Die mediane Zeit zwischen Unfallereignis (Erleiden eines Schädelhirntraumas) und Randomisierung betrug 3 Stunden. Innerhalb von 2 Wochen nach dem jeweiligen Unfallereignis verstarben 1052 Patienten in der Glucocorticoid-Gruppe (21%) und 893 (18%) in der Plazebo-Gruppe. Das relative Risiko zuungunsten von Methylprednisolon betrug 1,18 und war statistisch signifikant (p=0,0001).

Den Ergebnissen entsprechend wurde die Rekrutierung in diese Studie beendet. Die angestrebte Auswertung von Daten für den Zeitpunkt 6 Monate nach dem Unfallereignis – also nach Erleiden eines Schädelhirntraumas – liegt somit nicht vor.

Kommentar

Diese sehr große vom Medical Research Council in Großbritannien finanzierte Studie räumt mit einer klinischen Praxis auf, die seit mehr als 30 Jahren Bestand hat. Die Studie widerlegt zweifelsfrei die Hypothese, dass die Gabe von Glucocorticoiden das Hirnödem bei einem Schädelhirntrauma positiv beeinflusst. Ganz im Gegenteil: Glucocorticoide scheinen vielmehr die Prognose der Patienten zu verschlechtern. Die Studie belegt eindrucksvoll, dass es nur mit großen randomisierten Studien möglich ist, klare klinische Ergebnisse zugunsten oder zuungunsten einer Therapieform zu erhalten und danach dann die klinische Versorgung von Patienten entsprechend zu modifizieren.

Die Studie war dabei auch groß genug, um Untergruppenanalysen zuzulassen. So wurde gezeigt, dass die negative Wirkung von Methylprednisolon unabhängig von der Schwere des Schädelhirntraumas ist, unabhängig davon ist, wann die Substanz im Zeitfenster zwischen 1 und 8 Stunden eingesetzt wird, und unabhängig von den jeweiligen CT-Befunden ist. Patienten mit Schädelhirntraumen profitieren demnach nicht von der Methylprednisolon-Gabe und es lässt sich auch keine Untergruppe von Patienten ermitteln, für die möglicherweise ein therapeutischer Nutzen zu erwarten wäre.

Quelle

CRASH trial collaborators. Effect of intravenous corticosteroids on death within 14 days in 10008 adults with clinically significant head injury (MRC CRASH trial): randomised placebo-controlled trial. Lancet 2004;364:1321–8.

Psychopharmakotherapie 2005; 12(06)