Detlef Degner, Rolf-Hermann Ringert, Wolfgang Jordan, Göttingen, Renate Grohmann, München, Eckart Rüther und Juliane Porzig, Göttingen
Das multinationale Projekt „Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie“ (AMSP) ist ein Pharmakovigilanz-Programm zur Erfassung und Bewertung schwerer, aber auch seltener und neuer unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW) in der Psychiatrie. In dieser Kasuistik berichten wir über einen ungewöhnlichen Fall einer zeitlichen Koinzidenz zwischen der Einnahme des Antidepressivums Duloxetin und einer komplexen urologischen Erkrankung, ohne eine definitive Stellungnahme zu einem möglichen Kausalzusammenhang abgeben zu können.
Fallbericht
Vorgeschichte
65-jähriger Patient mit rezidivierenden depressiven Episoden (ICD-10: F32.3), erste depressive Episode 1997, der bislang ambulant behandelt worden war. Die erste stationäre psychiatrische Aufnahme erfolgte nach erneuter Entwicklung einer schweren depressiven Episode im Anschluss an eine orthopädische Operation im Februar 2004.
Psychopathologisch zeigte der Patient eine starke innere Unruhe, Freud-, Interessen-, Appetitverlust, generalisierte Ängstlichkeit, deutliche Antriebsminderung, Grübelattacken und Durchschlafstörungen. Der Patient klagte über suizidale Gedanken, es bestand der Verdacht auf wahnhaftes Erleben.
Organmedizinisch wurde während des stationären Aufenthalts im urologischen Konsil eine benigne Prostatahyperplasie (Prostata etwa 40–50 g) diagnostiziert, nachdem der Patient unter medikamentöser Behandlung mit zunächst trizyklischen Antidepressiva über einen Harnverhalt klagte.
Im körperlichen Untersuchungsbefund zeigte sich eine Dupuytren’sche Kontraktur in beiden Handinnenflächen, sonst unauffälliger Befund. Regelrechtes EKG, EEG und MRT des Kopfs. Keine weiteren bekannten Vorerkrankungen, kein Alkoholkonsum.
Aktueller Verlauf: Beginn einer medikamentösen Behandlung mit Duloxetin (Cymbalta®), 30 mg/Tag, im September 2004 während des stationären Aufenthalts, zusätzlich zu einer 5 Monate zuvor eingeleiteten Medikation mit Quetiapin (maximal 175 mg/Tag) und Lithiumcarbonat (maximal 675 mg/Tag). Die Entlassung erfolgte im November 2004 mit einer Tagesdosierung von 60 mg Duloxetin, 100 mg Quetiapin und 225 mg Lithiumsalz; letzter Lithiumionen-Spiegel am 29.10.2004: 0,02 mmol/l (therapeutischer Bereich: 0,6–0,8 mmol/l), Quetiapin-Plasmaspiegel (26.10.2004): 14,0 ng/ml (Referenzplasmaspiegel: 70–170 ng/ml). Wahrscheinlich waren die sehr geringen Plasmakonzentrationen beider Substanzen durch die niedrigen Dosierungen bedingt, da es bei höheren Tagesdosierungen zu einem Tremor kam und eine Reduktion im stationären Bereich durchgeführt worden war.
Eine ambulante Wiedervorstellung des Patienten erfolgte vier Monate später. Der Patient klagte bei psychopathologisch stabilem Befund über eine vier Wochen zuvor aufgetretene, sehr schmerzhafte Penisverkrümmung mit Verkürzung auf etwa die Hälfte der Größe ohne ein zuvor aufgetretenes Trauma.
Bei einer urologischen Vorstellung wurde eine Induratio penis plastica diagnostiziert, eine medikamentöse Behandlung mit Vitamin E und Benzocain eingeleitet.
Auf Grund des zeitlichen Zusammenhangs mit der medikamentösen Behandlung mit Duloxetin wurde die Substanz im März 2005 abgesetzt. Bei Wiedervorstellungen sechs und zehn Wochen später hatte sich an dem beschriebenen organischen Befund (noch) keine Änderung ergeben.
Diskussion
Die Ursache einer IPP ist bis heute unklar. Erstmals beschrieben wurde diese Erkrankung 1743 von Francois Gigot de la Peyronie. Bei etwa 1% aller Männer im Alter von 40 bis 70 Jahren kann sie plötzlich auftreten oder auch sich langsam entwickeln.
Ein Zusammenhang mit Mikroläsionen nach einem Trauma mit einer Wundheilungsstörung (abnormale Fibrosierung, Plaquebildung und Kalzifizierung) wird beschrieben [6]. Auch ein Zusammenhang mit einer Autoimmunerkrankung, einer infektiösen Genese oder einem genetischen Defekt [3] wird diskutiert, eine Assoziation mit HLA-B27 oder dem Auftreten mit anderen Systembindegewebserkrankungen wurde beobachtet [4]. Hauck und Mitarbeiter [4] vermuten eine Assoziation mit den Antigenen des HLA-Systems und betonen die wichtige Rolle des TGF-β (Transforming growth factor beta) in der Ausbildung der Plaques. 30% aller Patienten mit einer IPP weisen beispielsweise andere bindegewebige Veränderungen wie eine Dupuytren’sche Kontraktur auf [6], wie auch der hier vorgestellte Patient. Ein erhöhtes Risiko für das Auftreten einer IPP bei Verwandten mit einer Systembindegewebserkrankung oder einer IPP wurde beschrieben [3]. Bei dem hier vorgestellten Patienten zeigte sich allerdings eine leere Familienanamnese für Bindegewebserkrankungen.
Im Verlauf der Erkrankung zeigt sich häufig eine entzündliche Phase über 6 bis 18 Monate, während der es bei etwa 13% zu Spontanheilungen kommen kann oder sich bei etwa 40 bis 45% eine Zunahme der Beschwerden entwickeln kann, wohingegen die Symptomatik bei ungefähr 40% unverändert persistiert. In der sich oft anschließenden chronischen Phase kommt es zu Plaquebildung, Verkrümmung und eventuell erektiler Dysfunktion [4].
Auf Grund der Möglichkeit der Spontanheilung in den ersten zwei Jahren wird therapeutisch zunächst medikamentös mit Vitamin E und Benzocain vor allem bei Schmerzen behandelt [13]. Bei erheblicher Verkrümmung des Glieds stehen auch operative Möglichkeiten zur Verfügung (Nesbit-Vorgehen) [8].
Über potenzielle Zusammenhänge einer IPP unter Methotrexat [10] und Betablockern [7, 9] wird in mehreren Kasuistiken berichtet. Kristensen [7] beschreibt beispielsweise einen Fall eines 58-jährigen Patienten, der acht Monate nach Beginn einer Behandlung mit einem nicht-kardioselektiven Betablocker (Labetalol) eine IPP entwickelte. Allerdings zeigte dieser Patient keine weiteren bindegewebigen Veränderungen, wie beispielsweise eine Dupuytren’sche Kontraktur. Auch unter der Behandlungen mit anderen Betablockern (Propranolol, Practolol, Metoprolol) wurden Zusammenhänge mit einer IPP diskutiert [7, 9], wobei der pathophysiologische Mechanismus unklar bleibt. Bei den vermuteten pharmakologisch-induzierten Fällen kam es in Einzelbeschreibungen bis zu maximal acht Monate nach Beginn der Medikamenten-Exposition zum Auftreten einer IPP. Phelan und Mitarbeiter [10] berichten von zwei vermutlich Methotrexat-induzierten Entwicklungen einer Peyronie-Krankheit mit einer kompletten beziehungsweise einer partiellen Remission nach Absetzen der angeschuldigten Substanz. Eine Zusammenhangsanalyse wird zusätzlich durch eine hohe Spontanremissionsrate (bis zu 13%) erschwert.
Eine Koizidenz einer Induratio penis plastica mit Psychopharmaka ist unseres Wissens bislang nicht beschrieben worden.
Duloxetin wurde zunächst als Pharmakon bei Stressinkontinenz bei Frauen eingesetzt [1], eine Verbesserung der Blasenfunktion (Sphinkteraktivität und Blasenkapazität) wird über die alpha1-adrenergen und Serotonin-Rezeptoren vermittelt [12]. Als Antidepressivum mit einem dualen Wirkungsmechanismus als Noradrenalin- und Serotonin-Wiederaufnahmehemmer wird Duloxetin seit kurzem erfolgreich eingesetzt [2, 5]. Als Nebenwirkungen können Übelkeit, Mundtrockenheit, Unruhe oder Schlafstörungen auftreten [11].
In dem hier beschriebenen Fall zeigt sich ein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Auftreten einer IPP und einer fünf Monate zuvor begonnen Therapie mit 60 mg/Tag Duloxetin. Das Lithiumsalz und Quetiapin waren bis zu diesem Zeitpunkt schon über zehn Monate gegeben worden, die Lithiumionen- und die Quetiapin-Blutspiegel lagen über einen längeren Zeitraum vor der klinischen Manifestation der IPP in sehr niedrigen Bereichen. Ein Kombinationseffekt ist aber nicht definitiv auszuschließen. Unabhängig von der pharmakologischen Behandlung weist der Patient mit den beschriebenen Dupuytren’schen Kontrakturen einen Risikofaktor für das Auftreten einer IPP auf.
Ein direkter Kausalzusammenhang zwischen der IPP und der gegebenen Medikation kann nicht sicher beurteilt werden, bei unklarem Pathomechanismus und bislang generell unbekannter Ätiologie der Erkrankung selber. Der Patient weist eine spezifische Prädisposition für die Entwicklung einer IPP auf, wobei im Endeffekt eine mögliche medikamentöse Triggerung unklar bleibt. Aufgrund des Schweregrads der Erkrankung und der eventuell hohen Dunkelziffer dieser Problematik erschien es uns wichtig, diesen Fall deskriptiv ohne eindeutige Kausalitätsbeurteilung darzustellen.
Literatur
1. Castro-Diaz D, Amoros MA. Pharmacotherapy for stress urinary incontinence. Curr Opin Urol 2005;15:227–30.
2. Goldstein DJ, Mallinckrodt C, Ly Y, et al. Duloxetine in the treatment of major depressive disorder: a double-blind clinical trial. J Clin Psychiatry 2002;63:225–31.
3. Gonzalez-Cadavid NF, Magee TR, Ferrini M, et al. Gene expression in Peyronie’s disease. Int J Impot Res 2002;19:361–4.
4. Hauck EW, Hauptmann A, Haag SM, Weidner W. New insights into the etiological pathogenesis of Peyronie’s disease. Aktuelle Urol 2003;34:387–91.
5. Hirschfeld RM, Vornik LA. Newer antidepressants: review of efficacy and safety of escitalopram and duloxetine. J Clin Psychiatry 2004;65:46–52.
6. Jalkut M, Gonzalez-Cadavid N, Rajfer J. New discoveries in the basic science understanding of Peyronie’s disease. Curr Urol Rep 2004;5:478–84.
7. Kristensen BO. Labetalol-induced Peyronie’s disease? A case report. Acta Med Scand 1979;206:511–2.
8. Nesbit RM. Congenital curvature of the phallus: Report of three cases with description of corrective operation. J Urol 1965;93:230–2.
9. Osborne DR. Propanolol and Peyronie’s disease. Lancet 1977;1:1111.
10. Phelan MJ, Riley PL, Lynch MP. Methotrexate associated Peyronie’s disease in the treatment of rheumatoid arthritis. Br J Rheumatol 1992;31:425–6.
11. Sharma A, Goldberg MJ, Cerimele BJ. Pharmacokinetics and safety of duloxetine, a dual-serotonin and norepinephrine reuptake inhibitor. J Clin Pharmacol 2000;40:161–7.
12. Thor KB, Donatucci C. Central nervous system control of the lower urinary tract: new pharmacological approaches to stress urinary incontinence in women. J Urol 2004;172:27–33.
13. Tunugluntla HS. Management of Peyronie’s disease – a review. World J Urol 2001;19:244–50.
Dr. med. Detlef Degner, Dr. Wolfgang Jordan, Prof. Dr. Eckart Rüther, Juliane Porzig, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Georg-August-Universität Göttingen, von-Siebold-Str. 5, 37075 Göttingen, E-Mail: ddegner@gwdg.de
Prof. Rolf-Hermann Ringert, Direktor der Klinik für Urologie der Georg-August-Universität Göttingen, Robert-Koch-Str. 40, 37075 Göttingen
Dr. Renate Grohmann, Klink für Psychiatrie und Psychotherapie, Ludwig-Maximilian-Universität München, Nussbaumstraße 7, 80336 München
Psychopharmakotherapie 2005; 12(05)