Therapeutisches Drug-Monitoring: Typische Fehler bei der Zuweisung


Gerald Zernig, Theresa Lechner, Karin Kramer-Reinstadler, Hartmann Hinterhuber, Innsbruck, Christoph Hiemke, Mainz, und Alois Saria, Innsbruck

Ein maximaler Nutzen von therapeutischem Drug-Monitoring (TDM) für die Therapieoptimierung wird dann erreicht, wenn TDM adäquat benutzt wird. Um Fehler bei der Benutzung von TDM zu identifizieren, wurden die Art der Inanspruchnahme von TDM und die Reaktion auf die Befundmitteilung analysiert. Bei 35 von 262 psychiatrischen Patienten, für die TDM in Anspruch genommen worden war, wurde eine zweite Plasmaspiegelmessung angefordert. Aus dem Ablauf von der ersten zur zweiten Untersuchung wurde auf das Therapeutenverhalten rückgeschlossen. Häufige Fehler waren Blutspiegelanforderungen vor Erreichen des Steady State und TDM-inadäquate Dosisanpassungen. Der Einsatz von TDM im psychiatrischen Bereich muss daher verbessert werden.
Schlüsselwörter: TDM, Antidepressiva, Neuroleptika, Evidence-based Medicine, Qualitätsmanagement
Psychopharmakotherapie 2005;12:143–4.

In einer jüngst erschienenen prospektiven Studie an drei mittelgroßen psychiatrischen Kliniken in Deutschland wurde festgestellt, dass auch das unter naturalistischen Bedingungen durchgeführte therapeutische Drug-Monitoring (TDM) von Antidepressiva das Befinden der Patienten verbessert und die Inzidenz von unerwünschten Arzneimittelwirkungen senkt [1].

Dies ist jedoch nur dann möglich, wenn die teilnehmenden Ärzten auch auf die Empfehlungen des TDM-Labors reagieren, wie auch eine Schweizer Studie feststellen musste [2, 3]. Tatsächlich hatten jedoch in den beiden Studien 41% der deutschen [1] und 19% der schweizerischen [2] Psychiater auf die TDM-Befunde falsch reagiert.

Gilt dieses wenig schmeichelhafte Ergebnis auch für die österreichischen Kollegen?

Um diese Frage zu beantworten, haben wir die Inanspruchnahme von und die Reaktionen auf TDM seitens unserer im Hause tätigen Psychiater, die schon seit mehr als 16 Jahren mit dem Service unseres hausinternen TDM-Labors vertraut sind, untersucht.

Im Jahr 2001 erhielten wir von den hausinternen Psychiatern TDM-Aufträge für 262 Patienten, wobei im selben Zeitraum an unserer Klinik etwa 2500 stationäre und etwa 20000 ambulante Patienten behandelt wurden. Für 227 dieser 262 Patienten wurde TDM nur einmal angefordert, wobei 84% der analysierten Plasmaspiegel im orientierenden therapeutischen Bereich lagen. Bei den übrigen 35 Patienten (27 stationär, 8 ambulant), für die mehr als eine TDM-Analyse angefordert wurde, lagen nur 46% der Plasmaspiegel beim ersten TDM im orientierenden therapeutischen Bereich (p = 0,0002, Fishers exakter Test, zweiseitig). Dieser Befund scheint zu bestätigen, dass die Psychiater unserer Klink insgesamt adäquat auf suboptimale Plasmaspiegel reagierten, indem sie die Dosis änderten und ein weiteres TDM anforderten.

War die Dosisänderung jedoch TDM-basiert? Warteten unsere Kliniker nach der Dosisänderung lange genug, damit sich neue Gleichgewichtsplasmaspiegel einstellen konnten – also 4 Tage für die meisten Psychopharmaka?

Tatsächlich betrug die mediane Wartezeit bei den 27 stationären Patienten nur 3 Tage, d.h., es wurde nicht lange genug gewartet und falsch niedrige Plasmaspiegel wurden für die ärztliche Beurteilung herangezogen. Bei 38% dieser stationären Patienten wurde TDM sogar am Tag der Dosisänderung angeordnet. Bei den 8 ambulanten Patienten war die ärztliche Reaktion besser: Bei 25% der Patienten wurde TDM erst 4–7 Tage nach Dosisänderung angefordert und bei 75% der Patienten nach 8 oder mehr Tagen (p<0,0001 im Vergleich zu den stationären Patienten, chi-Quadrat-Test).

Offensichtlich hatte im stationären Bereich der höhere Druck, das klinische Bild des Patienten rasch zu verbessern, sowie die bessere diagnostische Verfügbarkeit des bettlägrigen Patienten die Kliniker dazu verleitet, TDM eher zu früh nach Dosisänderung anzufordern.

Zur Dosisänderung selbst: War sie TDM-basiert? 7 von 35 Patienten hatten beim ersten TDM zu hohe Plasmaspiegel aufgewiesen. Bei 4 dieser 7 Patienten wurde die Dosis nicht verändert, bei 2 dieser 7 Patienten wurde sie sogar noch erhöht. Umgelegt auf die Grundpopulation von 35 Patienten heißt das, dass eine TDM-inadäquate Dosisanpassung in 17% unserer Fälle erfolgte – ein suboptimales Verhalten unserer österreichischen Kliniker, dessen Häufigkeit der deutschen [1] und der schweizerischen [2] Stichprobe entspricht.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass TDM-anfordernde Kliniker an zwei essenzielle Dinge erinnert werden müssen:

 Nach einer Dosisänderung sollte der Kliniker genug Zeit bis zum nächsten TDM verstreichen lassen, um Gleichgewichtsplasmaspiegel zu erzielen (d.h. 4 Tage für die meisten Psychopharmaka).

 Auf Plasmaspiegel über dem orientierenden therapeutischen Bereich sollte mit einer Dosisreduktion reagiert werden, wenn sich das klinische Bild des Patienten ausreichend gebessert hat. Bei nicht zufrieden stellender klinischer Besserung trotz stabilem Plasmaspiegel über dem orientierenden therapeutischen Bereich sollte das Präparat gewechselt werden.

„Qualitätsmanagement“ mit dem Ziel der Therapieoptimierung gewinnt in Zeiten begrenzter Ressourcen zunehmend an Bedeutung. Das TDM von Psychopharmaka steigert die Effektivität der pharmakotherapeutischen Intervention durch schnellere und weitergehende Symptomlinderung und Senkung der Behandlungskosten. Deshalb sollte TDM im psychiatrischen Bereich nicht nur breitere Anwendung finden als bisher – wie die sehr bescheidenen 2% der vorliegenden Studie belegen –, sondern auch adäquat benutzt werden.

Literatur

1. Mueller MJ, Dragicevic A, Fric M, Gaertner I, et al. Therapeutic drug monitoring of tricyclic antidepressants: How does it work under clinical conditions? Pharmacopsychiatry 2003;36:98–104.

2. Vuille F, Amey M, Baumann P. Use of plasma level monitoring of antidepressants in clinical practice. Towards an analysis of clinical utility. Pharmacopsychiatry 1991;24:190–5.

3. Hiemke C, Dragicevic A, Fric M, Gaertner I, et al. Therapeutisches Monitoring von trizyklischen Antidepressiva. Psychopharmakotherapie 2003;10:11–4.

Prof. Dr. med. Gerald Zernig (korrespondierender Autor), Dr. med. Theresa Lechner, Dr. med. Karin Kramer-Reinstadler, Dr. med. Hartmann Hinterhuber, Abteilung für Neurochemie, Universitätsklinik für Psychiatrie, Anichstraße 35, 6020 Innsbruck, Österreich, E-Mail: gerald.zernig@uibk.ac.at
Prof. Dr. Christoph Hiemke, Psychiatrische Klinik der Universität Mainz, Untere Zahlbacher Straße 8, 55131 Mainz, Deutschland, E-Mail: hiemke@mail.uni-mainz.de

Inadequate use of TDM in psychiatry

Beneficial effects of TDM require an adequate use of the procedure. This study analysed retrospectively the use of TDM in 35 of 262 patients for whom TDM was requested a second time. When looking at the 35 patients the median waiting time was only 3 days which was too early, i.e. before reaching steady state. Moreover, many dose changes were inconsistent with reported drug concentrations in blood. These results indicate that the application of TDM in clinical routine needs to be improved.

Keywords: TDM, antidepressants, neuroleptics, evidence-based medicine, quality management

Psychopharmakotherapie 2005; 12(04)