Therapeutisches Drug-Monitoring in der Kinder- und Jugendpsychiatrie


Manfred Gerlach, Silke Rothenhöfer, Claudia Mehler-Wex, Andreas Warnke und Christoph Wewetzer, Würzburg

Gegenüber der Psychopharmakotherapie bei Erwachsenen ergeben sich im Kindes- und Jugendalter einige Besonderheiten: Zum einen gibt es abhängig vom Entwicklungsstadium Unterschiede in der Pharmakokinetik, weshalb Dosisempfehlungen aus dem Erwachsenenbereich nicht ohne weiteres auf diese Patienten übertragen werden dürfen. Zum anderen liegt in den meisten Fällen keine Zulassung der Arzneimittel für diese Altersgruppe vor, so dass bei der Therapie im Kindes- und Jugendalter die sonst durch das Arzneimittelgesetz garantierten Sicherheits- und Wirksamkeitskriterien nicht gegeben sind. Deshalb wird therapeutisches Drug-Monitoring (TDM) als eine generelle Indikation in der Kinder- und Jugendpsychiatrie angesehen. Es bietet die Chance zu einer größeren Sicherheit in der Behandlung mit Psychopharmaka im Kindes- und Jugendalter sowie die Möglichkeit, die individuelle Therapie effektiver zu gestalten und somit die Krankheitsdauer zu verkürzen. Zur Ermittlung der notwendigen Referenzwerte im Kindes- und Jugendalter sind jedoch standardisierte Untersuchungen notwendig, die weitere Aspekte zum Verständnis des Stoffwechsels und der pharmakologischen Effekte bei Kindern und Jugendlichen beitragen können.
Schlüsselwörter: Therapeutisches Drug-Monitoring, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Neuro-Psychopharmaka, Psychopharmakotherapie, Nebenwirkungen, Qualitätssicherung
Psychopharmakotherapie 2005;12:118–20.

Die Therapie mit Neuro-Psychopharmaka ist bei speziellen Symptomen und psychiatrischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter Teil eines mehrere Ebenen umfassenden Behandlungskonzepts, das auch begleitende psycho- und soziotherapeutische Maßnahmen beinhaltet [1, 2].

Besonderheiten der medikamentösen Behandlung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie

Die kinder- und jugendpsychiatrische Pharmakotherapie ist eine entwicklungsbezogene Pharmakotherapie [1, 2]: Die therapeutische Wirksamkeit muss sich auf eine normale Entwicklung beziehen. Da jedes Entwicklungsstadium seine spezifische Physiologie und Pathophysiologie aufweist, ist es nachvollziehbar, dass die Pharmakotherapien in einem Bezug zum Alter des Kindes stehen; die Wirkung beim Säugling ist nicht die gleiche wie beim 17-jährigen Jugendlichen. Bei längerfristigen Therapien und Längsschnittuntersuchungen können eventuell Reifungsvorgänge oder nicht erfasste psychosoziale Faktoren für die beobachteten klinischen Veränderungen wichtiger sein als die Einwirkung des Medikaments.

Die meisten der in Deutschland in der Kinder- und Jugendpsychiatrie verwendeten Neuro-Psychopharmaka sind offiziell nicht für Kinder und Jugendliche, sondern nur für Patienten im Erwachsenenalter (18 Jahre und älter; altersbezogene Indikation) zugelassen [3]. Ausnahmen sind zum Beispiel Methylphenidat zur Behandlung eines Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndroms (ADHS) oder der selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) Fluvoxamin, der für Kinder ab dem achten Lebensjahr für Zwangsstörungen zugelassen ist. Da Kindern und Jugendlichen eine Pharmakotherapie nicht vorenthalten werden kann, werden in der medikamentösen Behandlung kinder- und jugendpsychiatrischer Erkrankungen überwiegend Arzneimittel außerhalb des zugelassenen Altersspektrums verabreicht (so genannte Off-Label- oder „unlicensed“ Anwendung). Somit sind in der Psychopharmakotherapie im Kindes- und Jugendalter die sonst vom Arzneimittelgesetz garantierten Sicherheits- und Wirksamkeitskriterien nicht gegeben, was zu einer beträchtlichen Unsicherheit bei den behandelnden Ärzten, Patienten und Erziehungsberechtigten führt [2].

Gründe für eine Indikation von TDM in der Kinder- und Jugendpsychiatrie

Da sich Kinder und Jugendliche in jedem Entwicklungsstadium aufgrund ihren anatomischen, physiologischen, psychologischen und pathologischen Besonderheiten unterscheiden, ist anzunehmen, dass sich das pharmakokinetische und das pharmakodynamische Verhalten der Neuro-Psychopharmaka in Abhängigkeit vom Entwicklungsstadium ändern und vom Erwachsenenalter abweichen [2, 4]. Dies erklärt die häufig unvorhersehbaren Arzneimittelwirkungen bei Kindern und Jugendlichen sowie die schwierige Vorhersage der Dosis-Wirkungs-Beziehung allein aufgrund von Untersuchungen im Erwachsenenalter.

Die alters- und entwicklungsabhängigen Veränderungen, die die Psychopharmakotherapie im Kindes- und Jugendalter beeinflussen, sind bislang weder unter Berücksichtigung der Pubertät und zu erwartender Geschlechtsunterschiede in der Verstoffwechselung der Arzneistoffe noch hinsichtlich der durch Geschlechtsunterschiede in der körperlichen Reife (Fettmasse, Muskelmasse, hormonelle Regelkreise) bedingten Besonderheiten genügend untersucht worden. Weitere entwicklungsabhängige Faktoren mit einem möglichen Einfluss auf die Pharmakotherapie sind speziell im Jugendalter eventuell vorkommende alterstypische Besonderheiten wie Non-Compliance, Veränderungen im Essverhalten (z.B. anorektische oder bulimische Entwicklungen), der Konsum von Nicotin und Alkohol sowie komorbider Substanzmissbrauch [4].

Die Pharmakokinetik wird durch das aktive Bindegewebswachstum und unterschiedliche Organ- beziehungsweise Gewebeproportionen beeinflusst. So kann aufgrund der im Vergleich zu Erwachsenen proportional (in Relation zum Körpergewicht) größeren Leber von Kindern ein effektiverer Metabolismus induziert werden, so dass bei Arzneistoffen, die vorwiegend über den Cytochrom-P450-Metabolismus in der Leber verstoffwechselt werden, höhere Dosierungen notwendig werden können.

In Abhängigkeit von der körperlichen Entwicklung des Kindes und Jugendlichen variiert die prozentuale Verteilung des Körperfetts erheblich; bei schlanken und körperlich aktiven Schulkindern ist die Speicherung lipophiler Psychopharmaka im Vergleich zu Erwachsenen vermindert, was in manchen Fällen eine herabgesetzte Halbwertszeit zur Folge hat. Letztere wird durch die raschere Metabolisierung in der Leber sowie eine relativ hohe glomeruläre Filtrationsrate und infolgedessen verstärkte renale Elimination potenziert.

Demgegenüber ist das Protein-Bindungsvermögen bei Kindern niedriger als bei Erwachsenen; dies könnte eine erhöhte Bioverfügbarkeit der verabreichten Dosen im Gehirn bewirken und somit die therapeutische Wirksamkeit als auch die unerwünschten Arzneimittelwirkungen und in Folge die Compliance beeinflussen.

Des Weiteren ist die gastrointestinale Resorption vor allem bei Kindern und Säuglingen altersabhängig effektiver als bei Erwachsenen.

Die wenigen vorhandenen Plasmaspiegel-Untersuchungen stützen die Vermutung, dass Kinder und Jugendliche Neuro-Psychopharmaka anders als Erwachsene verstoffwechseln: So wurden für die trizyklischen Antidepressiva Nortriptylin und Clomipramin bei vergleichbarer Dosierung erniedrigte Plasmakonzentrationen bei Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen 5 und 15 Jahren im Vergleich zu Erwachsenen im Alter zwischen 18 und 55 Jahren nachgewiesen [5]. Auch für die Neuroleptika Haloperidol und Chlorpromazin wurden unterschiedliche Plasmaspiegel in unterschiedlichen Altersstufen berichtet [4]. In einer eigenen Studie zeigte sich, dass die gemessenen Serumspiegel des atypischen Neuroleptikums Quetiapin bei mehr als 50% der untersuchten Jugendlichen oberhalb des für Erwachsene empfohlenen Referenzbereichs lagen [6]. Adin et al. (2004) stellten fest, dass Kinder in der Behandlung mit dem Antiepileptikum Topiramat die doppelte Dosierung benötigen, um die gleichen Serumkonzentration wie Erwachsene zu erreichen [7].

Die aufgeführten Unsicherheiten und Unkenntnisse in der Psychopharmakotherapie bei Kindern und Jugendlichen können durch therapeutisches Drug-Monitoring (TDM) beseitigt oder minimiert werden und begründen die generelle Indikation für TDM in der Kinder- und Jugendpsychiatrie [8]. Zur Ermittlung der notwendigen Referenzwerte im Kindes- und Jugendalter sind jedoch standardisierte Untersuchungen notwendig, die weitere Aspekte zum Verständnis des Stoffwechsels und der pharmakologischen Effekte bei Kindern und Jugendlichen beitragen können.

Um die Arzneimittelsicherheit in der Kinder- und Jugendpsychiatrie zu verbessern, soll eine multizentrische Plattform unter Federführung der Universitätskliniken in Freiburg, Ulm und Würzburg geschaffen werden. In einem ersten Schritt soll regelmäßig therapeutisches Drug-Monitoring bei der Behandlung mit Neuroleptika und Antidepressiva durchgeführt werden. Es wird angestrebt, die Serum- und Plasmaspiegelbestimmungen nach einheitlichen, standardisierten Verfahren durchzuführen und eine systematische, standardisierte und EDV-gestützte Erfassung der klinischen Effekte vorzunehmen. Die dadurch generierten Daten sollen langfristig zu einer Evidenz-basierten Psychopharmakotherapie im Kindes- und Jugendalter führen und zur Pharmakovigilanz beitragen.

Literatur

1. Herpertz-Dahlmann B, Resch F, Schulte-Markwort M, Warnke A. Entwicklungspsychiatrie. In: Herpertz-Dahlmann B, Resch F, Schulte-Markwort M, Warnke A (Hrsg). Entwicklungspsychiatrie. Biopsychologische Grundlagen und die Entwicklung psychischer Störungen. Stuttgart New York: Schattauer, 2003:315–57.

2. Gerlach M, Warnke A. Allgemeine Aspekte und Besonderheiten der Neuro-Psychopharmakologie im Kindes- und Jugendalter. In: Gerlach M, Warnke A, Wewetzer Ch (Hrsg). Neuro-Psychopharmaka im Kindes- und Jugendalter. Grundlagen und Therapie. Wien New York: Springer, 2004:51–60.

3. Gerlach M, Warnke A, Wewetzer Ch (Hrsg). Neuro-Psychopharmaka im Kindes- und Jugendalter. Grundlagen und Therapie. Wien New York: Springer, 2004.

4. Schulz E, Fleischhaker C. Entwicklungspsychopharmakologie. In: Herpertz-Dahlmann B, Resch F, Schulte-Markwort M, WarnkeA (Hrsg). Entwicklungspsychiatrie. Biopsychologische Grundlagen und die Entwicklung psychischer Störungen, Stuttgart, New York: Schattauer, 2003:253–63.

5. Morselli PL, Cuche H, Zarifian E. Pharmacokinetics of psychotropic drugs in the pediatric patient. In: Mendlewicz J, van Praag HM (Hrsg). Childhood psychopharmacology: Current concepts. Advances in biological psychiatry. Basel: Karger 1978:70–86.

6. Rothenhöfer S, Mehler-Wex C, Schupp U, Wewetzer Ch, Gerlach M. Therapeutic drug monitoring of quetiapine in children and adolescents. International Meeting on Pharmacovigilance in Psychiatry, Therapeutic Drug Monitoring and Pharmacogenetics of Psychotropic Drugs, 1. bis 3. September 2004, Lausanne, Schweiz (Pharmacopsychiatry 2005;38:61–2).

7. Adin J, Gomez MC, Blanco Y, Herramz J, Armino JA. Topiramate serum concentration-to-dose ratio: Influence of age and concomitant antiepileptic drugs and monitoring implications. Ther Drug Monit 2004;26:251–7.

8. Baumann P, Hiemke C, Ulrich S, Eckermann G, et al. The AGNP-TDM Expert Group consensus guidelines: Therapeutic drug monitoring in Psychiatry. Pharmacopsychiatry 2004;37:243–65.

Prof. Dr. rer.nat. Manfred Gerlach, Dr. med. Silke Rothenhöfer, Dr. med. Claudia Mehler-Wex, Dr. med. Andreas Warnke, Dr. med. Christoph Wewetzer, Klinische Neurochemie, Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Universität Würzburg, Füchsleinstraße 15, 97080 Würzburg, E-Mail: manfred.gerlach@mail.uni-wuerzburg.de

Therapeutic drug monitoring in the child and adolescent psychiatry

The neuro-psychopharmacological therapy of children and adolescents is different from that of adults: 1. There are differences in the pharmacokinetic behaviour of drugs used in dependence on the stage of development. It is therefore not appropriate to use dosages recommended for adults. 2. Many drugs used are not approved for the use in children and adolescents; the consequence is that the criteria for efficacy and safety, guaranteed for the use in adults, are not given for administration in children and adolescents. Therefore, therapeutic drug monitoring (TDM) is a general indication for the administration of neuro-psychopharmaca in children and adolescents. TDM enables the clinician to adjust the dosage of drugs according to the characteristics of the individual patient. TDM is a valid tool to increase the safety of therapy and to optimise the therapy with neuro-psychopharmaca. There is, however, a need to carry out standardized studies to find therapeutic ranges of plasma concentrations for children and adolescents. These studies will provide new insights into the pharmacokinetic and pharmacodynamic behaviour of drugs used in children and adolescent psychiatry.

Keywords: Therapeutic drug monitoring, child and adolescent psychiatry, neuro-psychopharmaca, psychopharmacotherapy, side effects, quality assurance

Psychopharmakotherapie 2005; 12(04)