Gabriele Blaeser-Kiel, Hamburg
Ein wesentliches Merkmal der bipolaren Störungen bei Frauen ist die Dominanz der depressiven Krankheitskomponente (Tab. 1). Damit steigt das Risiko für eine initiale Fehldiagnose und Fehlbehandlung. In den USA wurde schon vor einigen Jahren nachgewiesen, dass häufiger als bei bipolaren Männern zunächst ein Antidepressivum verordnet wird und es dadurch vermehrt zum Stimmungsumschwung bis hin zur Auslösung eines Rapid Cyclings kommt.
Tab. 1. Besonderheiten bei bipolar kranken Frauen [nach Bauer, Rhode]
Häufiger als bei Männern sind: – Erstmanifestation als depressive Episode – Depressive Phasen im Verlauf – Bipolar-II-Typ (rezidivierende Depressionen und gelegentliche Hypomanien) – Affektive Mischzustände – Rapid Cycling (mindestens vier manische/hypomanische oder depressive Episoden pro Jahr) – Besondere Lebensumstände als Auslöser von Erstepisoden/Rezidiven – Antidepressiva-induzierter Wechsel in die Manie/Hypomanie – Komorbidität (Schilddrüsenerkrankungen, Migräne, Angstsyndrome, Essstörungen) – Alkoholabhängigkeit (im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung) |
Einfluss auf den affektiven Zustand bipolarer Frauen haben auch Schwankungen im Hormonhaushalt. Physiologisch lässt sich dies damit erklären, dass Estrogene gewissermaßen als natürliche MAO-Hemmer wirken und Progesteron ebenso wie seine Metaboliten dagegen Monoaminooxidase und Catechol-O-Methyl-Transferase stimulieren und damit einen gegensätzlichen Effekt haben.
Die Erkenntnisse zu den Interaktionen zwischen Geschlechtshormonen und Neurotransmittern und den Konsequenzen für Frauen mit bipolaren Störungen sind noch lückenhaft und zum Teil widersprüchlich. Wahrscheinlich hängt es von der individuellen Prädisposition ab, ob eine Veränderung der hormonellen Situation wie Menstruation, Schwangerschaft oder Menopause eine dysphorische/depressive oder manische/psychotische Episode induziert. Gut belegt ist dagegen das exzessive Rückfallrisiko im Wochenbett. Die Wahrscheinlichkeit für ein bipolares Rezidiv in die eine oder andere Richtung liegt in der Zeit nach der Entbindung zwischen 30 und 90%.
Die krankheitsspezifischen und biologischen Besonderheiten sollten auch beim therapeutischen Management berücksichtigt werden. Die etablierten Stimmungsstabilisierer sind nicht immer erste Wahl, sie beeinflussen vor allem die manische Komponente und haben nur eine schwache antidepressive Potenz. Dazu kommen mögliche unerwünschte Wirkungen:
Bei Lithiumsalzen (z.B. Quilonum®) thyreotoxische Effekte
Bei Valproinsäure (z.B. Convulex®) erhöhtes Risiko für eine Störung des Kohlenhydrat-Stoffwechsels (Gewichtszunahme/Insulinresistenz) und der Geschlechtshormonbalance (Hyperandrogenämie) bis hin zur Entwicklung eines Hyperandrogenämie-Insulinresistenz-Obesity-Syndroms (früher als „Polyzystisches-Ovar-Syndrom“ bezeichnet)
Bei Carbamazepin (z.B. Tegretal®) ungünstiger Einfluss auf die Knochenstabilität (Osteopenie/Osteoporose) und mögliche Beeinträchtigung einer hormonellen Kontrazeption
Als ein besonders für Frauen geeigneter „Stimmungsstabilisierer“ wird Lamotrigin (Elmendos®) bezeichnet. Die mehr als zehnjährigen Erfahrungen bei Epilepsie zeigen keine negativen Einflüsse auf Hormonhaushalt und Stoffwechselvorgänge und auch keine Beeinträchtigung der Knochenstabilität. Außerdem macht Lamotrigin nicht dick.
Lamotrigin steht auch einem Kinderwunsch nicht entgegen, weil es keine teratogenen Eigenschaften hat (Abb. 1). Das wurde vor kurzem auch in der Fachinformation verankert. Im Passus „Schwangerschaft“ heißt es: „Die Daten geben keinen Hinweis auf ein erhöhtes Risiko schwerwiegender Missbildungen unter einer Lamotrigin-Therapie im Vergleich zur Normalbevölkerung.“
Abb. 1. Große Fehlbildungen unter einer Behandlung mit Antikonvulsiva, die auch als Stimmungsstabilisierer eingesetzt werden: Daten des prospektiv geführten „UK Pregnancy Registry“ mit 2967 zum Zeitpunkt der Zwischenauswertung abgeschlossenen Schwangerschaften [nach Morrow et al. Epilepsia 2004]. Zum Vergleich: Rate großer Fehlbildungen in der Allgemeinbevölkerung 2 bis 3% (Metropolitan Atlanta Congenital Defect Program)
Lamotrigin ist auch deshalb gut für Frauen mit bipolarer Störung geeignet, weil vorrangig die depressive Seite der Erkrankung beeinflusst wird. Die zusätzliche antimanische Komponente verhindert einen Wechsel zum affektiven Pol. Dafür sprechen die Daten aus mehreren Plazebo-kontrollierten Untersuchungen wie unter anderem zwei Langzeitstudien (n = 638) über 18 Monate. Lamotrigin ist zurzeit der einzige Stimmungsstabilisierer mit einer Zulassung „zur Prävention depressiver Episoden bei Patienten mit bipolaren Störungen“.
Quelle
Prof. Michael Bauer, Berlin, Prof. Dr. med. Anke Rohde, Bonn, Satellitensymposium „Update Bipolare Störungen“, veranstaltet von GlaxoSmithKline im Rahmen des DGPPN-Kongress 2004, Berlin, 24. November 2004.
Die PPT im Internet:
www.ppt-online.de
Psychopharmakotherapie 2005; 12(04)