Derik Hermann, Eckard Klages und Bernhard Croissant, Mannheim
Die Einnahme von Benzodiazepinen stellt ein beträchtliches Problem in der Substitutionsbehandlung polytoxikomaner Patienten dar. Zwischen 44% und 66% der Methadon-substituierten Patienten weisen einen aktuellen Benzodiazepin-Missbrauch auf [3, 4]. Die am häufigsten missbrauchten Benzodiazepine waren Flunitrazepam (92,9%), Diazepam (54,3%) und Oxazepam (38,6%) [3]. Benzodiazepine werden eingenommen, um Stimmungsschwankungen auszugleichen [3], eine Sedierung zu erreichen, die Wirkung der Opiate zu verstärken [9] oder Opiat-Entzugssymptome in Eigenmedikation zu lindern [8]. Häufig entwickelt sich eine Benzodiazepin-Abhängigkeit mit gesteigerter Toleranz und Entzugssymptomen wie Schlafstörungen, Dysphorie, Angst und epileptischen Anfällen. Aufgrund von Wechselwirkungen von Benzodiazepinen und Opiaten, die zu einer lebensgefährlichen Überdosis mit Sedierung und Atemdepression führen können [6], wird versucht, bei Opiat-Substitution eine Benzodiazepin-Abstinenz zu erreichen.
Neben stationären Benzodiazepin-Entgiftungen bietet die Opiat-Substitutionsbehandlung mit täglichen Kontakten zur substituierenden Einrichtung und regelmäßigen Urinkontrollen auf Benzodiazepine einen Ansatzpunkt für eine ambulante Entgiftung von Benzodiazepinen [7]. Dabei erschweren jedoch Benzodiazepin-Entzugssymptome (Schlafstörungen, Dysphorie, Angst) die Behandlung. Entzugssymptome können von einem Craving nach Benzodiazepinen begleitet werden und zu einem Rückfall (Einnahme von Benzodiazepinen) führen. Diese Gefahr ist im ambulanten Entzug besonders groß. Zusätzlich besteht die Gefahr eines epileptischen Anfalls sowie der Entwicklung eines Entzugsdelirs. Um die Entzugssymptome zu lindern und Krampfanfällen und Delirien vorzubeugen, ist eine Behandlung mit Antiepileptika (z. B. Carbamazepin [z. B. Tegretal®] [10]) oder sedierenden Antidepressiva möglich.
Eine neue Alternative hierzu stellt das Antiepileptikum Oxcarbazepin (Trimox® oder Trileptal®) dar. Die Vorteile des Carbamazepinderivats Oxcarbazepin sind, neben der antikonvulsiven Wirkung [5], weniger unerwünschte Arzneimittelwirkungen als bei älteren Antikonvulsiva, weniger Interaktionen mit anderen Medikamenten [11] und eine stimmungsstabilisierende Wirkung [2]. Die bei Carbamazepin notwendigen Laborkontrollen entfallen bei Oxcarbazepin – gegebenenfalls sollten Serumnatriumionen-Spiegel bestimmt werden (Hyponatriämie möglich) [11]. Besonders geeignet ist Oxcarbazepin bei Opiat-abhängigen Patienten außerdem, da es weniger hepatotoxisch ist als Carbamazepin [11] und somit bei einer Hepatitis-C-Infektion besser verträglich ist. Die Gabe von Oxcarbazepin bei Opiat-substituierten Patienten zur Linderung des Benzodiazepin-Entzugs wurde in einer offenen unkontrollierten Studie unserer Klinik untersucht. Die Frage – ob durch Oxcarbazepin die Abstinenzrate im Benzodiazepin-Entzug erhöht werden kann – lässt sich jedoch abschließend erst nach Durchführung einer Plazebo-kontrollierten Doppelblindstudie beantworten. Daher war das Ziel dieser Untersuchung, erste richtungsweisende Hinweise auf die Verträglichkeit, mögliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen und Wirksamkeit (unter anderem antikonvulsive Wirkung und Stimmungsstabilisierung) von Oxcarbazepin bei Benzodiazepin-Entzugssymptomen zu erhalten.
Patienten und Methoden
In der Substitutionsambulanz unserer Klinik wurden 15 Benzodiazepin-abhängige Opiat-substituierte Patienten (9 weiblich, 6 männlich, 35 ± 5 Jahre) mit Oxcarbazepin zum Benzodiazepin-Entzug behandelt (Tab. 1). Massiver Alkoholkonsum kann ausgeschlossen werden, da ein Substitut-Ausgabeverbot bestand, wenn substituierte Patienten unter Alkoholeinfluss standen. Über geringen, am nächsten Tag nicht mehr nachweisbaren Alkoholkonsum können hingegen keine verlässlichen Angaben gemacht werden. Bei allen Patienten wurde eine Medikamenten-Spiegelbestimmung im Serum durchgeführt, die zum Ausschluss der 15. Patientin führte, da sie das Oxcarbazepin selbstständig abgesetzt hatte. Während der Behandlung mit Oxcarbazepin wurden initial alle zwei Wochen, später alle vier bis sechs Wochen Blutbild, Leberwerte und Elektrolyte bestimmt.
Tab. 1. Charakteristika der 15 mit Oxcarbazepin behandelten Patienten
Geschlecht |
9 weiblich, 6 männlich |
Alter |
35 ± 5 Jahre |
Opiat-Substitution |
11 Levomethadon, 4 Buprenorphin |
Dauer der Opiat-Abhängigkeit |
11 ± 5 Jahre |
Anzahl der bisherigen stationären Entgiftungen |
6 ± 4 |
Anzahl der bisher begonnenen Langzeitentwöhnungsbehandlungen |
1,3 ± 1,3; davon abgeschlossen: 0,6 ± 0,8 |
Epileptischer Anfall in der Vorgeschichte |
9 Patienten (64%) |
Entzugsdelir in der Vorgeschichte |
5 Patienten (36%) |
Behandlungsdosis |
835 ± 240 mg/Tag Oxcarbazepin (600–1200 mg/Tag) |
Hepatitis-C-Antikörper |
12 (86%) Patienten positiv |
HIV-Infektion |
1 Patient |
Alle Patienten nahmen ihr jeweiliges Opiat (11 Patienten: Levomethadon [L-Polamidon®], 4 Patienten: Buprenorphin [z. B. Subutex®]) täglich unter Sicht in der Ambulanz ein, ebenso die morgendliche Oxcarbazepin-Dosis. Die zweite Oxcarbazepin-Dosis zur abendlichen Einnahme wurde für jeweils einen Tag mitgegeben. Die Patienten hatten neben dem täglichen Kontakt zu einem Mitarbeiter mindestens ein ausführliches Gespräch pro Woche mit einem Arzt. Dabei wurde mit den Patienten ein Schema zur langsamen Reduktion der Benzodiazepin-Einnahme erarbeitet und es wurden mögliche Schwierigkeiten beim Benzodiazepin-Entzug besprochen. Den Patienten wurde empfohlen, auf ein langwirksames Benzodiazepin (z. B. Diazepam) umzustellen, um Wirkstoff-Spiegelschwankungen mit verstärkten Entzugssymptomen während der Dosisreduktion zu vermindern.
Neben der Behandlung mit Oxcarbazepin wurden verhaltenstherapeutische Maßnahmen zum Umgang mit Benzodiazepin-Entzugssymptomen (z. B. bei Schlafstörungen) erörtert und die Patienten zu deren Durchführung motiviert. Die Oxcarbazepin-Dosis wurde den klinischen Erfordernissen angepasst und gesteigert, bis die Patienten unerwünschte Arzneimittelwirkungen angaben. Nach Abschluss der ausschleichenden Gabe von Benzodiazepinen über drei bis zwölf Wochen wurde die Oxcarbazepin-Medikation in Absprache mit den Patienten noch sechs bis acht Wochen weitergeführt, gegebenenfalls auf Wunsch der Patienten auch länger.
Ergebnisse
Unter der Behandlung mit Oxcarbazepin traten weder epileptische Anfälle noch Entzugsdelirien auf. Drei der 14 (21%) Patienten schlossen den Benzodiazepin-Entzug erfolgreich ab (belegt durch Urinkontrollen). Weitere sieben (50%) Patienten nahmen nach eigenen Angaben weniger Benzodiazepine ein, schafften es aber auch innerhalb von vier Monaten nicht, die Benzodiazepine komplett abzusetzen. Zwei dieser sieben Patienten konnten nach einer ambulanten Dosisreduktion zu einer stationären Benzodiazepin-Entgiftung motiviert werden, bei der die Medikation mit Oxcarbazepin weitergeführt wurde. Vier (29%) Patienten nahmen trotz Oxcarbazepin unverändert Benzodiazepine ein.
Bei drei der 14 (21%) Patienten traten relevante unerwünschte Arzneimittelwirkungen (Arzneimittelexanthem, Schwindel, starker und rascher Transaminasenanstieg) auf, so dass Oxcarbazepin abgesetzt werden musste (Tab. 2). Insbesondere bei einer den Herstellerangaben entsprechenden Eindosierung von 2 x 300 mg Oxcarbazepin ab dem ersten Tag traten unerwünschte Wirkungen auf. Aufgrund eigener Erfahrungen aus einer anderen Untersuchung [1] gingen wir dazu über, die Eindosierung langsamer vorzunehmen: In den ersten vier Tagen der Entgiftung wurde die Oxcarbazepin-Dosis ausgehend von 150 mg/Tag um je 150 mg/Tag erhöht, dann erfolgte die Dosissteigerung um 150 mg alle zwei Tage bis zu einer Tagesdosis von 1200 mg, die am 12. Tag erreicht war. Die Aufdosierungsgeschwindigkeit sowie die Enddosis wurden entsprechend den klinischen Erfordernissen angepasst. Die Durchschnittsdosis lag mit 835 ± 240 mg/Tag Oxcarbazepin im unteren Bereich der vom Hersteller empfohlenen Dosis von 600 bis 2400 mg/Tag.
Tab. 2. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen von Oxcarbazepin (OXC)
Unerwünschte Arzneimittelwirkung |
Häufigkeit |
Arzneimittelexanthem |
1 Patient (Absetzen von OXC) |
Schwindel |
1 Patient (Absetzen von OXC) |
Hyponatriämie |
1 Patient: Natrium 126 mval/l, nach OXC-Dosishalbierung: 130 mval/l. 3 Patienten: klinisch nicht relevante Natriumerniedrigung innerhalb des Normbereichs |
Leukozytenverminderung |
2 Patienten: vorübergehend auf bis 4200/µl (klinisch nicht relevant) |
Transaminasenanstieg |
3 Patienten: leichter vorübergehender Anstieg, |
Auch bei den Patienten, die Krampfanfälle in früheren Entzügen erlitten hatten, traten keine Krampfanfälle auf. An subjektiven Wirkungen berichteten die Patienten Müdigkeit, ein Hochgefühl nach Einnahme, Antriebsmangel oder keine spürbare Wirkung.
Diskussion
Wir berichten erstmals über einen Behandlungsversuch mit Oxcarbazepin zur Unterstützung des ambulanten Benzodiazepin-Entzugs bei 14 polytoxikomanen Patienten während einer Opiat-Substitutionsbehandlung. Unter Oxcarbazepin trat während der Benzodiazepin-Entgiftung bei keinem Patienten ein epileptischer Anfall oder ein Entzugsdelir auf, obwohl neun der 14 (64%) Patienten bei früheren Entzügen epileptische Anfälle und fünf (36%) Entzugsdelirien entwickelt hatten. Diese lebensgefährlichen Komplikationen begrenzen den ambulanten Benzodiazepin-Entzug und sind der Grund für die sonst übliche stationäre Benzodiazepin-Entgiftung.
12 der 14 (86%) Patienten besaßen Antikörper gegen Hepatitis C, so dass der Einsatz von Carbamazepin oder Valproinsäure (Leptilan®) wegen der hepatischen Belastung ungünstig gewesen wäre. Außerdem sind die unter Carbamazepin notwendigen Serumspiegel- und Blutwert-Kontrollen bei Patienten mit einer langjährigen i.v. Polytoxikomanie oft problematisch, da die Venensituation zur Blutabnahme schlecht ist.
An subjektiven Wirkungen berichteten die Patienten Müdigkeit, ein Hochgefühl nach Einnahme, Antriebsmangel oder keine spürbare Wirkung. Bei drei der 14 Patienten (21%) musste Oxcarbazepin aufgrund von unerwünschten Arzneimittelwirkungen abgesetzt werden, insbesondere bei einer den Herstellerangaben entsprechenden Eindosierung von 2 x 300 mg Oxcarbazepin, die offensichtlich zu schnell war.
Drei der 14 (21%) Patienten wurden mit einem kombinierten Behandlungskonzept (Oxcarbazepin sowie engmaschige verhaltenstherapeutisch orientierte Betreuung) nach Urinbefund Benzodiazepin-frei. Da keine Vergleichsgruppe vorliegt und die Zahl der behandelten Patienten gering ist, kann keine Aussage darüber getroffen werden, ob Oxcarbazepin zu höheren Erfolgsraten beim Benzodiazepin-Entzug führt als beispielsweise die Behandlung mit anderen Antiepileptika oder sedierenden Antidepressiva. Es kann aber festgestellt werden, dass Oxcarbazepin den ambulanten Benzodiazepin-Entzug sicherer macht (gute antikonvulsive Wirkung), bei der schwierigen Klientel der polytoxikomanen Patienten sehr gut angenommen wurde und sich bei komplexen Begleitumständen (Hepatitis C, erschwerte Venenpunktion) als geeignet erwies.
Oxcarbazepine in outpatient benzodiazepine withdrawal in polytoxicomanic patients during an opiate maintenance therapy
In an open uncontrolled evaluation, we used oxcarbazepine (835 ± 240 mg/d) to support the outpatient detoxification of benzodiazepines in 14 polytoxicomanic patients during an opiate maintenance therapy. Advantages of oxcarbazepine are the anticonvulsive effect, the mood-stabilizing effect and less side effects and interactions with other drugs than with carbamazepine.
Under oxcarbazepine no patient developed a seizure or a delirium, although 64% of the patients had a history of seizures in former detoxifications. We had to stop the oxcarbazepine medication in 21% of the patients, because of side effects (exanthem, dizziness, a fast increase in transaminases). More side effects occurred in fast dosage increase of oxcarbazepine (e. g. 2 x 300 mg from the first day on).
21% of the patients finished the benzodiazepine detoxification successfully, 50% reduced the dosage of benzodiazepines and 29% did not change their benzodiazepine consumption.
On the background of these data the outpatient benzodiazepine withdrawal with oxcarbazepine proved to be save. The rather difficult clientele of polytoxicomanic patients accepted it very well and proved to be suitable in complex concomitant circumstances (hepatitis C, difficult venous puncture).
Keywords: Oxcarbazepine, benzodiazepine withdrawal, outpatient, opioid maintenance therapy
Literatur
1. Croissant B, Scherle T, Diehl A, Heinz A, et al. Oxcarbazepine in alcohol relapse prevention – a case series. Pharmacopsychiatry 2004;37:306–7.
2. Dietrich DE, Kropp S, Emrich HM. Oxcarbazepine in affective and schizoaffective disorders. Pharmacopsychiatry 2001;34:242–50.
3. Gelkopf M, Bleich A, Hayward R, Bodner G, et al. Characteristics of benzodiazepine abuse in methadone maintenance treatment patients: a 1 year prospective study in an Israeli clinic. Drug Alcohol Depend 1999;55:63–8.
4. Iguchi MY, Handelsman L, Bickel WK, Griffiths RR. Benzodiazepine and sedative use/abuse by methadone maintenance clients. Drug Alcohol Depend 1993;32:257–66.
5. LaRoche SM, Helmers SL. The new antiepileptic drugs: scientific review. JAMA 2004;291:605–14.
6. Man LH, Best D, Gossop M, Stillwell G, et al. Relationship between prescribing and risk of opiate overdose among drug users in and out of maintenance treatment. Eur Addict Res 2004;10:35–40.
7. McDuff DR, Schwartz RP, Tommasello A, Tiegel S, et al. Outpatient benzodiazepine detoxification procedure for methadone patients. J Subst Abuse Treat 1993;10:297–302.
8. Noble A, Best D, Man LH, Gossop M, et al. Self-detoxification attempts among methadone maintenance patients: what methods and what success? Addict Behav 2002;27:575–84.
9. Preston KL, Griffiths RR, Stitzer ML, Bigelow GE, et al. Diazepam and methadone interactions in methadone maintenance. Clin Pharmacol Ther 1984;36:534–41.
10. Seifert J, Metzner C, Paetzold W, Borsutzky M, et al. Detoxification of opiate addicts with multiple drug abuse: a comparison of buprenorphine vs. methadone. Pharmacopsychiatry 2002;35:159–64.
11. Schmidt D, Elger CE. Worin unterscheidet sich Oxcarbazepin von Carbamazepin? Nervenarzt 2004;75:153–60.
Dr. med. Bernhard Croissant, Ltd. Oberarzt der Klinik (komm.) (korrespondierender Autor), Dr. med. Derik Hermann, Dr. med. Eckard Klages, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin, J5, 68159 Mannheim, E-Mail: croissant@ zi-mannheim.de
Psychopharmakotherapie 2005; 12(03)