Vjera A. Holthoff und Birgit Herting, Dresden
Dem idiopathischen Parkinson-Syndrom liegt die Neurodegeneration mehrerer Transmittersysteme zugrunde. Sie schließt neben dem nigrostriatalen, mesolimbischen und mesokortikalen dopaminergen auch Teile des serotonergen, noradrenergen und cholinergen Neurotransmittersystems ein [1]. In der Folge zeigt sich auf klinischer Ebene beim idiopathischen Parkinson-Syndrom neben motorischen Symptomen eine erhöhte Vulnerabilität für neuropsychiatrische Erkrankung. Es kommt im Krankheitsverlauf bei 61 % der Patienten zu psychopathologischen Veränderungen wie Depression, Psychose oder Demenz [2]. Die Depression stellt davon mit einer Prävalenz von bis zu 7,7 % das häufigste Syndrom dar [3, 4]. Etwa die Hälfte der Patienten weisen eine Major Depression auf, während die anderen die Kriterien einer minoren Depression erfüllen [5, 6]. Das klinische Spektrum an Symptomen schließt Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit, Interessenverlust, Reizbarkeit, Angst oder Suizidideen [7–9] sowie erhebliche Schlafstörungen und Appetitverlust ein [9, 10]. Bei der Diagnose einer Depression bei IPS-Patienten sollte zusätzlich besonderes Augenmerk auf die häufig im Vordergrund stehende erhöhte Erschöpfbarkeit gerichtet werden [11]. Da die Depression und das idiopathische Parkinson-Syndrom überlappende Symptomprofile aufweisen können und kein spezifischer depressiver Symptomkomplex für das idiopathische Parkinson-Syndrom zu existieren scheint [9], ist die Differenzierung im klinischen Alltag eine diagnostische Herausforderung. Neueren Untersuchungen zufolge ist die Depression bei idiopathischem Parkinson-Syndrom daher auch unterdiagnostiziert [12]. Es ist inzwischen für den klinischen Alltag eine gute Validität für die Hamilton-Depressionsskala (17-Item-HAMD [13], Cut-off-Scores bei 16/17), die Montgomery-Asberg-Depressionsskala (MADRS [4, 14–16], Cut-off-Scores 17/18) sowie für das Neuropsychiatrische Inventar (NPI, [17]) nachgewiesen worden.
Eine antidepressive Pharmakotherapie ist indiziert, weil die Depression bei idiopathischem Parkinson-Syndrom zu einer nachweisbaren Reduktion der kognitiven Leistungsfähigkeit, einer Beeinträchtigung der Aktivitäten des täglichen Lebens und Minderung der Lebensqualität führen kann [18, 19].
Randomisierte und kontrollierte Studien zum Einsatz einer antidepressiven Pharmakotherapie beim idiopathischen Parkinson-Syndrom sind nur begrenzt verfügbar, während eine Vielzahl von offenen Studien vorliegt [20, 21]. Bislang wurden Studien mit doppelblindem, Plazebo-kontrolliertem Design lediglich zu dem trizyklischen Antidepressivum Nortriptylin (Nortrilen®) [22] und zu den selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern Citalopram (z.B. Cipramil®) und Sertralin (Gladem®, Zoloft®) durchgeführt [23, 24].
Nortriptylin
Nortriptylin ist ein selektiver Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer mit geringem Einfluss auf das serotonerge und fehlendem Effekt auf das dopaminerge System. Nortriptylin blockiert muscarinerge sowie alpha-adrenerge Rezeptoren. In einer doppelblinden, Plazebo-kontrollierten Studie bei depressiven Patienten mit idiopathischem Parkinson-Syndrom wurden je nach klinischer Notwendigkeit über einen Zeitraum von acht Wochen täglich 25 bis 150 mg Nortriptylin oral verabreicht und mit einer Plazebo-Gruppe im Hinblick auf motorische und psychopathologische Symptomveränderung verglichen [22]. Es kam zu einer signifikanten Verbesserung affektiver Symptome in der Verum-Gruppe, während die motorischen Parkinson-Symptome sich in beiden Gruppen nicht von der Erstuntersuchung vor Behandlungsbeginn unterschieden. In der Verum-Gruppe wurde als signifikante unerwünschte Wirkung eine orthostatische Dysregulation beschrieben. Die Daten erlauben keine abschließende Beurteilung zur Sicherheit von Nortriptylin bei Patienten mit idiopathischem Parkinson-Syndrom und Depression [20, 21].
Citalopram und Sertralin
In den beiden Studien zur Wirksamkeit von Citalopram (10 bis 20 mg täglich) und Sertralin (50 bis 100 mg täglich) bei depressiven Patienten mit idiopathischem Parkinson-Syndrom zeigte sich ein vergleichbarer und hoher Plazebo-Effekt, so dass keine signifikante Überlegenheit des jeweiligen Serotonin-Wiederaufnahmehemmers nachgewiesen werden konnte [23, 24].
Dieser hohe Plazebo-Effekt wird im Zusammenhang mit einer funktionellen Störung des dopaminergen Reward-Systems bei Patienten mit idiopathischem Parkinson-Syndrom gesehen, das an die Integrität mesolimbischer und mesokortikaler Bahnen gebunden sein könnte [25]. Es wird angenommen, dass bereits die Erwartung einer antidepressiven Medikation bei Patienten mit idiopathischem Parkinson-Syndrom dieses System aktivieren und zu einer klinischen Besserung führen könnte. Entscheidend wird diese Hypothese durch Untersuchungen unterstützt, die auch einen Plazebo-Effekt auf motorische Symptome bei idiopathischem Parkinson-Syndrom beschreiben [26, 27]. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch neuere Untersuchungen zur antidepressiven Wirksamkeit von dopaminergen Substanzen. Während der On-Off-Fluktuationen können depressive Verstimmungen und ängstliche Anspannung symptomatisch auftreten und sich unter einer effizienten Parkinson-Therapie wieder zurückbilden [28, 29].
Dopamin-Agonisten
Dopaminagonisten wie Bromocriptin (z.B. Pravidel®) [30] oder Pramipexol (Sifrol®) [31] sollen eine antidepressive Begleitwirkung aufweisen, die jedoch auf Grund der Studienlage noch nicht als erwiesen angesehen werden kann.
Elektrokrampftherapie
Moellentine et al. konnte retrospektiv in der umfangreichsten Untersuchung zur Wirksamkeit der Elektroheilkrampfbehandlung (EKT) bei 25 depressiven Patienten mit idiopathischem Parkinson-Syndrom im Vergleich zu 25 depressiven Patienten ohne idiopathisches Parkinson-Syndrom für beide Gruppen eine signifikante Wirksamkeit der Elektrokrampftherapie nach durchschnittlich sechs Behandlungen (uni- oder bilateral) demonstrieren [32].
Bei den Patienten mit idiopathischem Parkinson-Syndrom kam es signifikant häufiger zu einem reversiblen hirnorganischen Psychosyndrom (56 % vs. 12 %). Bei 56 % der Patienten mit idiopathischem Parkinson-Syndrom konnte auch eine vorübergehende subjektive Besserung der motorischen Symptome beobachtet werden. Die Studienlage zur EKT muss noch als unzureichend gewertet werden, sie sollte jedoch bei schwerer oder therapierefraktärer Depression unbedingt erwogen werden [33].
Therapieempfehlungen
Zusammenfassend legt die Evidenz-basierte Datenlage zur Wirksamkeit und Sicherheit antidepressiver Pharmakotherapie bei idiopathischem Parkinson-Syndrom gegenwärtig lediglich für Nortriptylin eine Wirksamkeit nahe, während nur unzureichende Erkenntnisse zur Wirksamkeit und Sicherheit von weiteren trizyklischen Antidepressiva sowie Serotonin-Wiederaufnahmehemmern verfügbar sind [20, 21]. Zudem sprechen die vorliegenden Studien dafür, dass zukünftig der Nachweis einer klinischen Überlegenheit spezifischer antidepressiver Pharmakotherapie aufgrund des hohen Plazebo-Effekts ausschließlich in einem kontrollierten Design mit hohen Patientenzahlen möglich sein wird.
Dennoch hat eine Vielzahl von offenen Studien eine Wirksamkeit von Antidepressiva im klinischen Alltag belegen können und dazu geführt, dass sowohl die American Psychiatric Association (APA [34]) als auch die American Academy of Neurology (AAN [35]) in ihren Leitlinien den Einsatz von Serotonin-Wiederaufnahmehemmern als Mittel der ersten Wahl bei der Behandlung depressiver Patienten mit idiopathischem Parkinson-Syndrom aufführen. Die Dosis entspricht der empfohlenen antidepressiven Medikation bei Depressionen ohne idiopathisches Parkinson-Syndrom. Die Gruppe der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer wird gegenwärtig am häufigsten in der antidepressiven Therapie bei idiopathischem Parkinson-Syndrom eingesetzt [33, 36, 37]. Studien zeigten eine antidepressive Wirksamkeit bei guter Verträglichkeit für Sertralin, Citalopram, Fluoxetin, Paroxetin und Fluvoxamin [24, 36, 38–41]. Obwohl bekannt ist, dass Serotonin die dopaminerge Freisetzung im Striatum inhibieren kann [42], erbringen die vorliegenden Studien keinen Hinweis auf eine Verschlechterung der motorischen Symptome unter Therapie mit Serotonin-Wiederaufnahmehemmern [43–45].
Die kombinierte serotonerge Wirkkomponente von Antidepressiva und des Monoaminoxidase-(MAO-)B-Hemmers Selegilin führte in einer umfangreichen Studie in 0,24 % der Patienten mit idiopathischem Parkinson-Syndrom zu einem zentralen Serotonin-Syndrom, der Anteil mit einer als ernst einzustufenden Symptomatik wurde mit 0,04 % der Patienten angegeben [46], so dass eine kombinierte Gabe nur nach besonderer Abwägung erfolgen sollte.
Der Einsatz trizyklischer Antidepressiva bei Patienten mit idiopathischem Parkinson-Syndrom birgt die Gefahr anticholinerger Nebenwirkungen, die zu deliranten Syndromen und zu einer veränderten gastrointestinalen Resorption von Levodopa führen können [47]. Daher werden diese Substanzen in den Leitlinien der APA und AAN als Mittel zweiter Wahl bei therapierefraktären Erkrankten empfohlen [34, 35].
Gegenwärtig liegen Einzelfallbeschreibungen oder offene Studien mit begrenzter Patientenzahl für Mirtazapin (Remergil®) und den selektiven Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Reboxetin (Edronax®, Solvex®) vor und weisen auf einen Therapieerfolg hin [48–50]. Studien, die einen Einsatz reversibler MAO-A-Hemmer zur Behandlung der Depression bei idiopathischem Parkinson-Syndrom rechtfertigen, liegen nicht vor [51].
Die Leitlinien der APA empfehlen neben dem Einsatz der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer bei depressiven Patienten mit idiopathischem Parkinson-Syndrom den Dopamin-Wiederaufnahmehemmer Bupropion (Zyban®) als mögliches Mittel der ersten Wahl. Vor dem Hintergrund der funktionellen Störung im dopaminergen Reward-System wäre eine Wirksamkeit gut zu erklären und ist bereits in einer offenen Studie und einer Einzelfallbeschreibung demonstriert worden [52, 53]. Andererseits ist auch bekannt, dass Bupropion bei idiopathischem Parkinson-Syndrom Psychosen auslösen kann [54], so dass eine engmaschige Begleitung des Patienten erforderlich ist. In Deutschland ist Bupropion zur Behandlung von Patienten mit idiopathischem Parkinson-Syndrom nicht zugelassen.
Die Suche nach der pathophysiologischen Ursache für die Depression beim idiopathischen Parkinson-Syndrom wirft Fragen auf, die neben der serotonergen Hypothese und dem Behandlungsansatz mit Serotonin-Wiederaufnahmehemmern auch Hinweise für eine Rolle des dopaminergen Systems erbracht hat und möglicherweise neue Behandlungsansätze erforderlich machen wird.
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Priv.-Doz. Dr. Vjera A. Holthoff, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum
Carl Gustav Carus, Technische Universität Dresden, Fetscherstr. 74, 01307 Dresden Dr. Birgit Herting, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Technische Universität Dresden, Fetscherstr. 74, 01307 Dresden
Antidepressant therapy in idiopathic Parkinson’s disease
The co-occurrence of depression and Parkinson’s disease (PD) is common. Antidepressant treatment is necessary as depression has been shown to have a negative influence on activities of daily living, cognitive performance and quality of life in PD patients. The limited number of double-blind, placebo-controlled studies offers insufficient evidence for the efficacy and safety of selective serotonin reuptake inhibitors (SSRI) and tricyclic antidepressants (TCA) in the treatment of depression in PD with the exception of a possible efficacy of nortriptyline. In the absence of evidence based trials, trial-treatment is recommended by the American Psychiatric Association (APA) and the American Academy of Neurology (AAN). Guidelines favor a first-choice treatment with SSRIs over the treatment with TCAs because of the risk of a potential negative influence on cognition and perception due to the anticholinergic properties of TCAs.
Keywords: Parkinson’s disease, depression
Psychopharmakotherapie 2005; 12(01)