Okulogyre Krise unter Aripiprazol in Kombination mit Fluoxetin


Detlef Degner, Oliver Fiege, Borwin Bandelow, Göttingen, Renate Grohmann, München, und Eckart Rüther, Göttingen

Wir berichten über eine 28-jährige Patientin mit einer Zwangsstörung, die unter einer medikamentösen Kombination aus Aripiprazol und Fluoxetin eine extrapyramidal-motorische Störung (EPS) in Form einer okulogyren Krise entwickelt hat. Möglicherweise ist eine pharmakokinetische Interaktionen der beiden Substanzen (an Cytochrom P450-2D6) dafür mitverantwortlich. Der Fall wurde im Rahmen des AMSP-Projekts („Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie“) dokumentiert und bewertet.
Schlüsselwörter: Aripiprazol, EPS, okulogyre Krise, Kombinationstherapie, Interaktionsrisiko, AMSP
Psychopharmakotherapie 2005;12:32–3.

Fallbericht

Die 28-jährige Patientin befindet sich auf Grund einer Zwangsstörung (ICD-10: F42.0) in unserer therapeutischen Behandlung. Bis März 2003 erhielt sie Clomipramin, wegen einer deutlichen Gewichtszunahme erfolgte eine Umstellung auf Fluoxetin in einer Dosierung von zuletzt maximal 60 mg/Tag.

Da die klinische Symptomatik weiter exazerbierte, wurde ab dem 18. Mai 2004 zusätzlich Risperidon, 2 mg/Tag, angesetzt. Darunter trat 2 Tage später erstmals eine kurzzeitige okulogyre Krise auf, nach Reduktion auf 1 mg/Tag kam es unter Risperidon zu keinem erneuten EPS-Ereignis.

Wegen Beschwerdepersistenz erfolgte ein Wechsel von Risperidon auf Olanzapin in einer maximalen Dosierung von 5 mg/Tag. Ab dem 16. Juli 2004 wurde dann auf Aripiprazol, 15 mg/Tag, umgestellt, da es unter Olanzapin zu einer erneuten Gewichtszunahme gekommen war. Olanzapin wurde stufenweise reduziert und am 26. Juli 2004 abgesetzt.

Unter der Medikation von 15 mg Aripiprazol und 60 mg Fluoxetin trat einen Tag später akut eine mehrstündige, schwere okulogyre Krise auf. Die akute Dystonie besserte sich unter Biperiden. Fluoxetin wurde auf 40 mg/Tag, Aripiprazol auf 7,5 mg/Tag reduziert und 4 mg/Tag Biperiden retard als Bedarfsmedikation angesetzt.

Der Fluoxetin-Spiegel im Plasma am Tag der unerwünschten Arzneimittelwirkung (UAW) lag bei 887 nmol/l, Desmethylfluoxetin bei 573 mmol/l (Referenzbereich: 289–1156 nmol/l). Die Aripiprazol-Plasmakonzentration lag bei 203 µg/l. Der Aripiprazol-Spiegel kann jedoch erst als verbindlich gelten, wenn die Angaben mit Referenzmaterial überprüft werden, gegebenenfalls muss ein Korrekturfaktor berücksichtigt werden. Nach der Dosisreduktion waren die Kontrollspiegel von Aripiprazol auf 129 mmol/l und von Fluoxetin auf 652 nmol/l (Desmethylfluoxetin 498 nmol/l) gefallen. Die Zwangssymptomatik war unter dieser Kombinationstherapie im weiteren Verlauf deutlich gebessert.

Eine magnetresonanztomographische Untersuchung des Schädels zeigte bei der Patientin eine infratentorielle und supratentoriell zentral diskrete Hirnvolumensubstanzminderung, in der Vorgeschichte ist keine Alkoholproblematik bekannt.

Diskussion

Aripiprazol ist ein neues atypisches Antipsychotikum mit einer partiell agonistischen D2-Wirkung („Dopamin-Modulation“). In einer Metaanalyse fanden Harrison und Perry [1] ein ähnliches Auftreten von extrapyramidal-motorischen Symptomen (EPS) und EPS-bezogenen UAW wie mit Plazebo. In einer Vier-Wochen-Studie von Potkin und Mitarbeitern [2] zeigten die Empfänger von Aripiprazol (Tagesdosis 20 bis 30 mg) höhere Inzidenzen von EPS-bezogenen Ereignissen als die Plazebo-Gruppe (32 % bzw. 31 % versus 21 %). Allerdings fanden Marder et al. [3] in einer Metaanalyse von fünf Studien, die jeweils 4 bis 6 Wochen dauerten, keine signifikanten Unterschiede in den EPS-Inzidenzen des Aripiprazol-Arms (alle Dosen zusammengefasst) im Vergleich zu Plazebo (21,1 % vs. 19,4 %).

Aripiprazol wird durch das Cytochrom-P450-(CYP-)3A4- und -2D6-Enzymsystem extensiv in der Leber metabolisiert. Möglicherweise wurde durch eine pharmakokinetische Interaktion das Auftreten der okulogyren Krise begünstigt (Hemmung von CYP2D6 durch Fluoxetin mit verlangsamtem Abbau von Aripiprazol). Im AMSP-Projekt wurde als Ursache für die akute Dystonie die Kombination beider Substanzen angeschuldigt. Zusätzlich muss der inhibitorische Effekt von Fluoxetin auf die striatale Dopamin-Funktion beachtet werden [4].

Leo [5] fasste in einer Analyse von 71 Fallberichten über Bewegungsstörungen unter einer Behandlung mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) zusammen, dass SSRI-induzierte EPS wegen der Verstärkung des inhibitorischen serotonergen Einflusses auf zentrale dopaminerge Systeme auftreten können, insbesondere bei Substanzen mit langer Halbwertszeit und dadurch länger dauernder Inhibition. Ein solcher Effekt könnte das Auftreten von EPS im vorliegenden Fall zusätzlich begünstigt haben, insbesondere da der Fluoxetin-Serumspiegel im oberen Referenzbereich lag. Stübner et al. [6] sahen im AMSP-Programm im Zeitraum von 1993 bis 2000 bei insgesamt 16698 mit SSRI behandelten Patienten 4 Fälle von schweren EPS unter einer SSRI-Therapie bei Kombinationsbehandlungen.

Ein weiterer relevanter Faktor war, dass einen Tag vor dem Auftreten der UAW Olanzapin komplett abgesetzt wurde. Dadurch kam es möglicherweise zu einem Wegfall der anticholinergen Eigenschaften von Olanzapin. Ein möglicher prädisponierender Faktor war eine hirnorganische Vorschädigung bei der Patientin (MRT-Befund). In der Vorgeschichte war es bei ihr unter der Kombination von Fluoxetin und 2 mg Risperidon schon einmal zu einer kurzzeitigen akuten Dystonie gekommen.

Ein Schwerpunkt des AMSP-Projekts ist es, UAW bei neuen Substanzen zu erfassen und die oftmals komplexen Interaktionsprobleme zu analysieren. Die Relevanz des therapeutischen Drug-Monitorings (TDM) wird im vorliegenden Fall verdeutlicht.

Literatur

1. Harrison TS, Perry CM. Aripiprazole: a review of its use in schizophrenia. Drugs 2004;64:1715-36.

2. Potkin SG, Anutosh RS, Kujawa MK, et al.: Aripiprazole, an antipsychotic with a novel mechanism of action, and risperidone vs. placebo in patients with schizophrenia and schizoaffective disorder. Arch Gen Psychiatry 2003;60:681-90.

3. Marder SR, McQuade RD, Stock E, et al. Aripiprazole in the treatment of schizophrenia: safety and tolerability in short-term, placebo-controlled trials. Schizophr Res 2003;81:123-36.

4. Palfreyman MG, Schmidt CK, Sorensen SM, et al. Electrophysiological, biochemical and behavioral evidence for 5HT2 and 5HT3 mediated control of dopaminergic function. Psychopharmacology 1993;112(Suppl 1):60-70.

5. Leo RJ. Movement disorders associated with the serotonin selective reuptake inhibitors. J Clin Psychiatry 1996;57:449-54.

6. Stübner S, Rustenbeck E, Grohmann R. Severe and uncommon involuntary movement disorders due to psychiatric drugs. Pharmacopsychiatry 2004;37(Suppl 1):54-64.

Dr. med. Detlef Degner, Oliver Fiege, Prof. Dr. med. Borwin Bandelow, Prof. Dr. med. Eckart Rüther, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Georg-August-Universität Göttingen, Robert-Koch-Straße 40, 37075 Göttingen, E-Mail: ddegner@gwdg.de
Dr. med. Renate Grohmann, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig Maximilians Universität München, Nussbaumstraße 7, 80336 München


Psychopharmakotherapie 2005; 12(01)